Entscheidungshilfesystem zum Management von Großcarnivoren

Aktenzeichen 23695/01
Abschlussbericht:
Projektträger: Albert-Ludwigs-Universität FreiburgInstitut für Geo- und Umweltnaturwissenschaften
Tennenbacher Str. 4
79106 Freiburg
weitere Projekte aus der Umgebung
Telefon: 0761 203 3642
Internet: https://www.forstzoo.uni-freiburg.de
Bundesland: Baden-Württemberg
Beschreibung:
Zielsetzung und Anlass des Vorhabens

Rund 200 Jahre nach ihrer Ausrottung wird die Rückkehr von Wolf, Bär und Luchs in die dichtbesiedelten Kulturlandschaften Westeuropas diskutiert, und der Schutz dieser Arten ist auf nationaler und internationaler Ebene in Gesetzen, Richtlinien und Aktionsplänen verankert. In Deutschland verläuft die Rückkehr großer Beutegreifer bislang noch sehr verhalten. Zwar konnte der Wissensstand vor allem zur Ökologie von Raubtieren im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte erheblich verbessert und eine Vielzahl der für Mensch - Raubtier - Beziehungen relevanten Einflussfaktoren identifiziert werden. Allerdings wurden die meisten dieser Arbeiten in Gebieten durchgeführt, in denen Großraubtiere relativ häufig vorkommen bzw. nie vollständig ausgerottet waren. Aufgrund der spezifischen Situation in Deutschland - die betreffenden Arten waren nahezu 200 Jahre lang verschwunden - sind in anderen Regionen der Erde entwickelte Konzepte zur Koexistenz mit großen Raubtieren nicht uneingeschränkt übertragbar. Dementsprechend kontrovers verlaufen die Diskussionen um Maßnahmen, die eine Rückkehr großer Raubtiere nach Deutschland zielgerichtet unterstützen könnten, und konkrete Entscheidungen hinsichtlich einer dauerhaften Etablierung der betreffenden Arten stehen derzeit noch immer aus.
Im Rahmen des hier beschriebenen Vorhabens wurde am Beispiel des Eurasischen Luchses (Lynx lynx) getestet, inwieweit Entscheidungshilfen zur Vorbereitung einer Rückkehr großer Carnivoren in westeuropäische Kulturlandschaften systematisch erarbeitet werden können. Ziel des Projekts ist es, die Schnittstellen zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Umsetzung des Wissens in die Naturschutz-praxis konzeptionell zu verbessern.


Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenUnsere Untersuchung erfolgte in zwei Phasen. Phase 1 diente dazu, die derzeitige Situation des Luchses sowie den status quo des Luchsmanagements in Deutschland zu erfassen. Hierfür wurden zunächst alle öffentlich zugänglichen Informationen gesichtet und ausgewertet. Zusätzlich führten wir im Rahmen eines komplementären Projekts (BfN Z.1.3 - 892 11 - 3/07) eine Umfrage bei den zuständigen Länderbehörden zum Vorgehen beim Luchsmanagement durch.
Im Verlauf dieser ersten Projektphase kristallisierten sich das Ausbreitungspotential des Luchses in Kul-turlandschaften, der Einfluss der Raubkatze auf natürliche Beutetierpopulationen sowie auf eingebürgerte Paarhufer und potentielle Schäden an Weidetieren als Themenfelder heraus, zu denen seitens des Wildtiermanagements Informationsbedarf besteht.

In Projektphase 2 strebten wir an, den Informationsstand zu den in der ersten Projektphase als relevant identifizierten Themenfeldern zu verdichten und damit die Grundlagen für systematische Entscheidungshilfen zu schaffen. Hierfür wurden folgende Arbeitsschritte durchgeführt:
1. Bewertung derzeit verfügbarer Habitat- und Ausbreitungsmodelle für den Luchs hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit beim Luchsmanagement in Kulturlandschaften.
2. Räumlich-explizite Analyse von Faktoren, die das Prädations-Risiko von Schafen beeinflussen.
3. Test der Übertragbarkeit identifizierter Prädationsrisikofaktoren auf verschiedene Gebiete.
4. Strukturanalyse zur Schafhaltung im Schwarzwald
5. Bewertung der Eignung verschiedener Abundanzschätzer für Populationen des Luchses sowie seiner Beutetiere.
6. Testweise Übertragung von Prüfgrößen zur Prognose des Prädationseinflusses des Luchses auf eingebürgerte Paarhuferpopulationen am Beispiel der Gämse (Rupicapra rupicapra) im Schwarzwald.


Ergebnisse und Diskussion

Die Rückkehr von Großraubtieren nach Deutschland ist sowohl ökologisch als auch naturschutzpolitisch von großem Interesse. Aufgrund des Konfliktpotentials, das die Thematik beinhaltet, sowie vor dem Hintergrund stark fragmentierter und vom Menschen dicht besiedelter Lebensräume stellt die Rückkehr von Wolf, Luchs oder Bär in unsere Kulturlandschaften hohe Anforderungen an den Natur- und Artenschutz. Die Herausforderungen sind vielschichtig und betreffen ökologische und sozioökonomische Themenfelder. Die vorliegende Untersuchung erarbeitet Grundlagen für ein systematisches Vorgehen bei der Rückführung des Luchses in Kulturlandschaften. Aufgrund der unterschiedlichen hierbei zu berücksichtigenden thematischen Bereiche, ist die Arbeit modular aufgebaut.

Situation des Luchses in Deutschland. Regelmäßige Vorkommen des Luches sind derzeit in Deutschland nur im Harz und im Gebiet des Bayerischen Waldes an der Grenze zu Tschechien und Österreich zu finden. Beide Vorkommen können noch nicht als gesicherte Populationen betrachtet werden. Nachweise der Katzenart liegen auch aus weiteren Regionen Deutschlands vor. Die Herkunft dieser in der Regel sehr weit von möglichen Quellpopulationen entfernt nachgewiesenen Luchse ist bislang ungeklärt. Illegale Aussetzungen oder aus Gehegen entlaufene Tiere können als Ursprung der spontan auftauchenden Luchse nicht ausgeschlossen werden.
Die Monitoringdaten aus der Harzregion zeigen, dass einzelne der dort ausgewilderten Luchse das Mittelgebirge verlassen haben und in das weitere Harzumland abgewandert sind. Nach derzeitigem Wissensstand zum Ausbreitungsverhalten des Luchses ist aber davon auszugehen, dass sich Luchspopulationen selbst bei hohem Populationsdruck innerhalb von Kulturlandschaften kaum ausbreiten (Zimmermann 2004). Die dazu in der Schweiz gewonnenen Erkenntnisse werden durch die Situation des Luchses in Deutschland gestützt, wo in verschiedenen Regionen seit Jahrzehnten immer wieder einzelne Luchse nachgewiesen werden, sich jedoch bislang ohne eine aktive Wiederansiedlung nirgendwo Vorkommen etablieren konnten. Vor diesem Hintergrund ist für die meisten Gebiete in Deutschland nicht zu erwarten, dass der Luchs durch selbständige Zuwanderung und ohne aktive Unterstützung wieder heimisch werden wird.

Derzeitiger Stand beim Luchsmanagement in Deutschland. Hinweise auf Luchse werden inzwischen in allen relevanten Gebieten in Deutschland mit Hilfe von Meldernetzwerken erfasst und durch geschulte Personen verifiziert. In nahezu allen von der Thematik betroffenen Bundesländern wird das Luchsmonitoring als langfristige Verwaltungsaufgabe verstanden.
Die Vorgehensweise beim Monitoring in den verschiedenen Gebieten beruht in der Regel auf der Erfassung von Zufallshinweisen. In allen Bundesländern werden die Hinweise inzwischen nachvollziehbar ka-tegorisiert. Größtenteils erfolgt die Bewertung gemäß sogenannter SCALP-Kriterien bzw. lassen sich die zugrunde gelegten Bewertungsschemata in die drei SCALP-Bewertungskategorien überführen.
Die Monitoringdaten liegen somit prinzipiell in bundesweit qualitativ vergleichbarer Form vor. Quantitative Vergleiche zwischen den Regionen sind derzeit aber noch nicht ohne Weiteres möglich, weil nicht von einer flächendeckend identischen Intensität der Erfassung und Motivation der Melder ausgegangenen werden kann.
Auffällig ist, dass in den meisten Regionen Deutschlands nur relativ wenige Hinweise der SCALP-Kategorie 2 anfallen. Diese indirekten, durch Experten überprüften Hinweise sind von hoher Aussagekraft und bilden die Basisdaten eines Luchsmonitorings. Der intensiven Überprüfung von indirekten Nachweisen im Feld kommt deshalb vor allem in solchen Gebieten eine große Bedeutung zu, in denen die Situation des Luchses noch weitgehend ungeklärt ist (Kaphegyi et al. 2006). Eine intensive Überprüfung indirekter Nachweise setzt voraus, dass die lokalen Experten und Luchsberater zeitnah informiert und die Hinweise dann auch unverzüglich im Freiland überprüft werden. Eine Intensivierung der Überprüfung potentieller C 2 - Hinweise lässt eine Erhöhung der Aussagekraft des Luchsmonitorings in nahezu allen betroffenen Regionen in Deutschland erwarten.

Neben den oben erwähnten Aspekten fielen im Rahmen unserer das Monitoring betreffenden Analyse eher marginale Inkonsistenzen auf, die vor allem die Auswertung und die Darstellung der Monitoringdaten betreffen. Beispielsweise werden zum Teil fotografische Aufnahmen, die mittels gezielt platzierten (z. B. an Rissen) Fotofallen gewonnen wurden, als C1 Nachweise im Zusammenhang mit Zufallshinweisen dargestellt.

Um bei der Planung und auch im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit rasch auf die Meldesituation reagieren zu können, ist die zeitnahe Bereitstellung der Daten wichtig. Regelmäßige öffentlich zugängliche Monitoring-Berichte sind bislang die Ausnahme und werden nur von der Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft Rheinland-Pfalz für das Gebiet des Pfälzerwaldes verwirklicht. Die verzögerte Aufarbeitung und Veröffentlichung der Monitoringdaten verhindert einen aktuellen Überblick über die Situation des Luchses und kann zu Einbußen bei der Informationsqualität der Daten führen. Das von uns entwickelte und im Rahmen eines komplementären Projekts optimierte Monitoring-Erfassungs-Werkzeug kann die Erfassung, Aufarbeitung und zeitnahe Darstellung der Monitoringdaten wesentlich unterstützen.

Bis auf wenige Ausnahmen verfügen inzwischen alle Länder über eigene online Auftritte, die zur Verbreitung und Bereitstellung von Informationen für die Öffentlichkeit sehr gut geeignet sind. Aufgrund der Internetauftritte der Länder ist der Bedarf an einer zentralen Großraubtier - Informations-Webseite nicht vorhanden. Eine zentrale Internet-Plattform ist nur dann sinnvoll, wenn die dort angebotenen Informationen über das Angebot der von den Ländern geschalteten websites hinausgehen. Ein von den Ländern gemeinsam regelmäßig erstellter Monitoring-Bericht könnte ein solches Angebot darstellen. Zu prüfen ist aber, ob für die Verteilung solcher Informationen nicht weniger aufwändige bzw. bereits vorhandene Werkzeuge genutzt werden können.

Die bisher in verschiedenen Bundesländern durchgeführten genetischen Analysen verdeutlichen, dass die hinsichtlich der Herkunftsnachweise in diese Methode gesetzten Erwartungen deutlich relativiert werden müssen. Abgesehen von labortechnischen Schwierigkeiten, aus im Freiland gewonnenen Proben ausreichend Luchs-DNA zu extrahieren, lassen sich gewonnene DNA-Profile häufig nicht eindeutig einer potenziellen Herkunftspopulation zuordnen. Dieses Problem wurde durch das Aussetzen von in Gefangenschaft gezüchteten Luchsen noch erheblich verschärft. Ein genetisches Monitoring der in Deutschland vorkommenden Luchse ist trotzdem wichtig, um Einblicke in die genetische Struktur einer sich möglicherweise gründenden Population zu erlangen. Allerdings ist darauf zu achten, dass sämtliche Analysen mittels deutschlandweit und mit den Nachbarländern abgestimmten, vergleichbaren Methoden durchgeführt werden.

Ebenfalls wichtig im Zusammenhang mit der Herkunftsfrage der auftretenden Luchse ist der Einblick in bzw. die Kontrolle von Gehegehaltungen. Die Zusammenarbeit der Monitoring-Verantwortlichen mit den Behörden, die für die Genehmigung und Überwachung von Gehegehaltungen zuständig sind, sowie der direkte Kontakt und die Kooperation mit den Gehegebetreibern sollte aufgebaut werden.

Unsere Analyse verdeutlicht, dass Verbesserungen und Modifizierungen beim Luchsmonitoring in Deutschland weniger auf der inhaltlich-methodischen Seite notwendig sind. Die methodischen Anforde-rungen sind klar und können durch die in den Ländern tätigen Experten ohne weiteres bewältigt werden. Weitere Investitionen in Methodik-Manuals sind deshalb nicht notwendig. Für Vorgehensweisen, wie beispielsweise Fotofallenmonitoring, die über die Erfassung von Zufallshinweisen hinausgehen, stehen fundierte und umfassende Informationen öffentlich zugänglich zur Verfügung (Zimmermann et al. 2007; Fat-tebert et al. 2008; Breitenmoser et al. 2006).
Eine grundsätzliche Erhöhung des Ressourceneinsatzes für das Monitoring ist differenziert zu betrachten. Die geringe Hinweisdichte in den meisten Regionen bedingt, dass die Arbeiten im Rahmen der Erfassung und Verifizierung sehr unregelmäßig anfallen und dadurch schwer planbar sind. Am ehesten dürften sich die Arbeitskapazitäten für das Monitoring über ehrenamtliche Mitarbeiter erweitern lassen. Im Gegenzug ist es wichtig, die Motivation der eher selten zum Einsatz kommenden Luchsberater aufrecht zu halten. Entscheidend ist, die Berater eng in das Geschehen einzubinden und ihnen Rückkopplung und Einblicke in die Datenlage zu bieten, die über die öffentlich zugänglichen Informationen hinausgehen. Jährliche Berichte und Treffen reichen hierfür sicher nicht aus. Auch hier kann das bereits zur Verfügung stehende Erfassungswerkzeug wichtige Funktionen übernehmen und den Arbeitsaufwand für die hauptamtlich mit dem Monitoring befassten Personen reduzieren. Neben der effizienten Datenerfassung - die Berater können Hinweise direkt in das Werkzeug eingeben - besteht zusätzlich die Möglichkeit, die ehrenamtlichen bzw. externen Luchs-Berater über das Werkzeug in den Informationsfluss einzubinden (BfN Z.1.3 - 892 11 - 3/07).

In nahezu allen betroffenen Bundesländern haben sich die in die Thematik involvierten Interessensgruppen zu Arbeitsgemeinschaften zusammengeschlossen. Regelmäßige Treffen dienen dem Informations-austausch und mildern potenzielle Konflikte ab. Ohnehin sind aufgrund der geringen Abundanz des Luchses aktuell gravierende Konflikte nicht vorhanden.

Bei regelmäßigem Vorkommen des Luchses muss mit Schäden an kleineren Weidetierarten wie Schafen und Ziegen gerechnet werden. Zur Umsetzung geeigneter Präventionsmaßnahmen liegen umfassende Erfahrungen und Handreichungen vor (Angst et al. 2000f; Angst et al. 2002). Die für das Management notwendigen Informationen sind öffentlich zugänglich und können abgerufen werden (www.kora.ch). Entsprechende Handbücher müssen für Deutschland nicht nochmals separat erstellt werden.
Zur Kompensation von Schäden, die der Luchs an Haustieren verursacht, wurden in einigen Bundesländern bereits im Vorfeld einer Rückkehr der Raubkatze entsprechende Fonds eingerichtet. Die Erfahrungen aus der benachbarten Schweiz zeigen, dass die zu erwartenden Schäden, die Luchse an Weidetieren verursachen, im Vergleich zum Schadensumfang durch andere Großraubtiere eher moderat sind und sich aufgrund bestimmter verhaltensökologischer Aspekte als zuverlässiger prognostizierbar darstellen.

Ein weiteres Konfliktfeld neben den erwähnten Schäden an Weidetieren bietet die Jagd, wobei die vermeintliche Konkurrenz Luchs - Jäger als Konfliktpunkt jedoch weitestgehend überwunden scheint. Bedenken werden vielmehr darüber geäußert, dass die Anwesenheit des Luchses Veränderungen der Jagdausübung nach sich ziehen könnte. Bei der Bearbeitung dieses Themenkomplexes muss zur Kenntnis genommen werden, dass der Luchs nur ein Element in dem häufig emotionsgeladenen Diskussionsfeld Wald - Wild darstellt. Kooperationsfördernd und vertrauensbildend in diesem Zusammenhang sind Ansätze z. B. in Bayern und Baden-Württemberg, die darauf abzielen, einen Großteil der Verantwortung für die Abschussplanung auf die Jägerschaft zu übertragen und damit mehr Flexibilität bei der Umsetzung forst- und jagdwirtschaftlicher Managementziele zu erreichen.
Weitere mögliche Konflikte im Zusammenhang mit der Jagd ergeben sich durch potenzielle Eingriffe des Luchses in die Populationen eingebürgerter Ungulaten. Diese Wildarten stehen dort, wo sie vorkommen, meist im Zentrum des jagdlichen Interesses. Aufgrund fehlender Anpassung an die Lebensräume, in denen sie ausgewildert wurden, sind diese Arten möglicherweise gegenüber zurückkehrenden großen Prädatoren überproportional exponiert (Molinari-Jobin et al. 2002; Babotai et al. 2000; Baumann et al. 2000). Welchen Einfluss der Luchs auf die Populationen eingebürgerter Huftierarten ausübt, ist derzeit nur ansatzweise untersucht. Neben dem reinen Managementaspekt ist diese Frage deshalb auch von erheblichem wissenschaftlichem Interesse.

Identifizierung von Luchslebensräumen in Kulturlandschaften. Das Auftreten des Luchses in Deutschland wird häufig sehr medienwirksam dargestellt. In weiten Teilen der Öffentlichkeit entsteht dadurch der Eindruck, die einst ausgerottete Raubkatze hätte sich bereits wieder etabliert bzw. ihre Rückkehr wäre bereits erfolgreich im Gange. Im Gegensatz zum Wolf stellt sich das Ausbreitungsverhalten des Luchses jedoch als sehr konservativ dar. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass von einer selbständigen Rückkehr der Raubkatze in die potentiell in Deutschland zur Verfügung stehenden Habitate zumindest in näherer Zukunft nicht auszugehen ist. Die Etablierung überlebensfähiger Luchspopulationen ist in den meisten Regionen Deutschlands offensichtlich auf aktive Unterstützung des Menschen angewiesen. Wiederansiedlungsmaßnahmen für große Beutegreifer sind langwierig und aufwändig. Vor dem Hintergrund knapper Ressourcen kommt der Auswahl der für die Maßnahmen geeigneten Gebiete eine Schlüsselrolle zu, wobei die Auswahlkriterien auf ökologischen aber auch auf soziologischen und ökonomischen Zusammenhängen basieren.
Für die Gebietsauswahl nach ökologischen Gesichtspunkten wird in der Regel die Durchführung von Lebensraumanalysen empfohlen. Die momentan für den Luchs verfügbaren Habitat- und Ausbreitungsmodelle sollen als Werkzeuge für derartige Analysen dienen.

Zwar sind die derzeit zur Verfügung stehenden Modelle in sich konsistent, hinsichtlich des Verhaltens des Luchses in Kulturlandschaften bleibt die Parametrisierung der Modelle jedoch auf eine verhältnismäßig geringe Datenbasis beschränkt. Ohne das entsprechende Wissen, wie sich der Luchs tatsächlich gegenüber den einzelnen Habitattypen verhält, sind Aussagen zur Eignung von potentiellen Luchslebensräumen nur bedingt möglich. An dieser Stelle wird deutlich, dass präzisere Aussagen und damit auch verlässlichere Prognosen hinsichtlich der Eignung von Luchslebensräumen weniger über modifizierte Modelliertechniken zu erwarten sind, vielmehr sollte das Wissen zur Verhaltensökologie des Luchses in vom Menschen intensiv genutzten Kulturlandschaften verdichtet werden.
In Deutschland lassen sich derartige Informationen momentan nur in Bayern oder in der Harzregion erarbeiten. Die in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt gestarteten Telemetrieprojekte könnten wichtige Beiträge dazu leisten. Allerdings müssten die Projekte konzeptionell auf die für eine Rückkehr des Luchses in Kulturlandschaften relevanten Fragestellungen ausgerichtet werden. Dies ist wiederum nur bei einer erheblichen Erweiterung des Umfangs der jeweiligen Projekte möglich. Entsprechende Investitionen in Projekterweiterungen sind allerdings nur dann sinnvoll, wenn die beiden derzeit in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt gestarteten Vorhaben inhaltlich eng verzahnt werden und dauerhaft kooperieren.

Prädationsrisiko von Weidetieren. Schäden an Nutztieren stellen grundsätzlich eine zentrale Thematik beim Management großer Beutegreifer dar. Mit der vorliegenden Arbeit konnten Einblicke in die Zusammenhänge des Prädationsverhaltens des Luchses und des Schadensaufkommens in Luchsgebieten gewonnen werden. Hierfür analysierten wir Luchsübergriffe auf Haustiere, die über einen Zeitraum von 16 Jahren in den Schweizer Nordwestalpen erfasst und dokumentiert wurden.
Hauptsächlich betroffen von Luchsattacken auf Weidetiere sind Schafe. Die Anzahl gerissener Tiere ist im Verhältnis zur Gesamtzahl der Schafe, die sich auf den Weiden befinden, sehr gering. Obwohl sie nach Größe und Verfügbarkeit zu urteilen als Luchsbeute geradezu prädestiniert erscheinen, passen Schafe offensichtlich nicht ins Beuteschema des Luchses. Luchsattacken auf Schafe erfolgen nahezu ausschließlich aus der Deckung des geschlossenen Waldes heraus, wobei in der Regel nur ein Tier pro Angriff getötet wird. Obwohl Schafe für den Luchs sicher mühelos zu erbeuten sind, weicht die Raubkatze bei ihren Angriffen nicht von ihrer Jagdstrategie als Ansitzjäger ab, die notwendig ist, um natürliche Beute wie Rehe und Gämsen zu überraschen. Interessant ist, dass sich dieses Verhalten gegenüber Schafen nicht änderte, obwohl Luchse seit ihrer Wiederansiedlung in den 1970ziger Jahren Erfahrungen mit den grundsätzlich leichter zu erbeutenden Weidetieren sammeln konnten. Dementsprechend zeigten unsere Auswertungen, dass das Prädationsrisiko für Schafe im Wesentlichen durch den Abstand des Aufenthaltsorts eines Tieres zum nächstgelegenen Waldrand bestimmt wird. Darüber hinaus deutete sich an, dass je nach Gebietsstruktur weitere Faktoren, wie beispielsweise die Besiedlungsdichte durch den Menschen das Prädationsrisiko möglicherweise beeinflussen. Die Wirkung von Faktoren, die mit Besiedlungsdichte und Infrastruktur in Zusammenhang stehen, konnte mit den uns vorliegenden, auf den siedlungsfernen alpinen Weiden erhobenen Daten jedoch nicht vertiefend analysiert werden.
Neben Abwehrmaßnahmen gegenüber Luchsangriffen stellt das Entfernen schadenstiftender Tiere eine praktizierte Managementmaßnahme dar. In bestimmten Fällen, wenn das Tier z. B. durch Krankheit nicht in der Lage ist, natürliche Beute zu jagen, kann der Abschuss sogenannter Schadluchse die ultima ratio darstellen. Grundsätzlich bedeutet die Entnahme aber immer auch einen erheblichen Eingriff in die Luchspopulation. Deshalb sind die Kriterien für die Entnahme von Tieren aus der Wildbahn sehr sorgfäl-tig zu definieren.

Verschiedene Untersuchungen aus dem Französischen Jura befassten sich mit dem Prädationsrisiko von Schafen durch den Luchs. Die betreffenden Autoren stellten fest, dass sich Luchsübergriffe auf bestimmten Weiden fortsetzten, obwohl dort schadenstiftende Luchse entfernt wurden. Postuliert wurde, dass sich aufgrund spezifischer Eigenschaften bestimmter Weiden Luchsübergriffe in sogenannten Schadens - "hot spots" konzentrieren. Durch Übertragung der in diesen Arbeiten formulierten normativen Definition ließen sich auch im Gebiet der Schweizer Nordwestalpen solche "Schadensbrennpunkte" ausweisen. Unsere Analysen ergaben jedoch, dass Faktoren, die sich auf die Landschaftsstruktur beziehen, wie z. B. die Distanz eines Schafes zum Wald, nicht für das Zustandekommen der vermeintlichen Schadens - hot spots verantwortlich sind. Wir können vielmehr zeigen, dass die räumlich inhomogene Verteilung der Luchsübergriffe maßgeblich von der Vorkommensdichte der Schafe im jeweiligen Gebiet abhängt.
Neben Landschaftsfaktoren wurde das Angebot an natürlicher Beute als Einflussfaktor auf die Häufigkeit von Luchsübergriffen auf Nutztiere vermutet. Abundanzen von Wildtieren lassen sich grundsätzlich nur schwer erfassen. Wir testeten, ob und inwieweit sich aus vorhandenen Datensätzen zu verschiedenen Mortalitätsursachen bei Rehen, Gämsen und beim Luchs Kenngrößen zur Populationsentwicklung dieser Arten ableiten lassen. Durch Verschneidung verschiedener Datenquellen konnte ein Optimum an verfügbarer Information für einen Zeitraum von 1990 bis 2005 für unser Bezugsgebiet in den Schweizer Nordwestalpen herausgearbeitet und mittels Methoden der Zeitreihenanalyse untersucht werden. Inhaltlich weisen die Resultate auf einen eher geringen Einfluss des Luchses auf die Populationsentwicklung von Gämsen und Rehen im Untersuchungsgebiet hin. Die Analysen machten aber deutliche Einschränkungen sichtbar, was die Eignung verschiedener Kenngrößen als Schätzer für Luchs- bzw. Gämsen- und Rehwildabundanzen betrifft. Vor allem Jagdstatistiken, die aufgrund ihrer Verfügbarkeit häufig als Dichteindikatoren für Ungulatenpopulationen verwendet werden, erwiesen sich als wenig robuste Parameter.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass in Luchsgebieten immer mit Übergriffen der Raubkatze auf kleinere Weidetiere wie Schafe oder Ziegen gerechnet werden muss. Obwohl Schafe grundsätzlich leicht zu er-beuten sind, verursacht der Luchs lediglich einen geringen Anteil der Gesamtmortalität gesömmerter Schafe. Ursächlich hierfür scheint der Umstand, dass Luchse bei Angriffen auf augenscheinlich leicht zu erbeutende Schafe im Wesentlichen an den Verhaltensmustern des Überraschungsjägers festhalten. Aufgrund des langen Betrachtungszeitraums der vorliegenden Analysen kann davon ausgegangen wer-den, dass dieses Verhaltensmuster seitens des Luchses auch dann beibehalten wird, wenn Luchse und Schafe über längere Zeiträume im selben Gebiet vorkommen.
Auf der Basis momentan verfügbarer Prüfgrößen konnte kein Zusammenhang zwischen der Verfügbarkeit natürlicher Beute und der Häufigkeit von Luchsübergriffen auf Haustiere festgestellt werden. Unter den im Untersuchungszeitraum herrschenden Bedingungen hängt die Schadenshöhe offensichtlich vor allem von der Häufigkeit der Begegnungen von Luchs und Schafen ab.

Schadensprognosen für potentielle Luchsgebiete. Hier testeten wir, in wie weit sich die gewonnenen Erkenntnisse für Schadensprognosen in potentiellen Luchsgebieten umsetzen lassen. Das grundsätzlich eher geringe Schadaufkommen zeigt, dass Schäden durch den Luchs in jedem Fall von einer geringeren ökonomischen Dimension sind als dies bei Wolf oder auch Bär zu erwarten ist. Die Sicherheit von Schadensprognosen für den Luchs wird dadurch erhöht, dass die Raubkatze auch bei Übergriffen auf Weidetiere an der Strategie des Überraschungsjägers festhält und zudem Schafe offensichtlich dem Beuteschema des Luchses nicht in dem zu erwartenden Maß entsprechen. Diese Zusammenhänge lassen keine besonders großen Schwankungen der Schadensraten erwarten. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass von dauerhaft gleichbleibenden Schadensumfängen ausgegangen werden kann. Die Entwicklung der Luchsschäden in der Schweiz zeigt, dass bei zunehmender Abundanz des Prädators innerhalb eines Gebietes die Schäden durchaus zunehmen können.
Landschaftsanalysen für das Testgebiet Schwarzwald weisen eine deutlich höhere Risikobewertung hinsichtlich des Faktors Distanz der Schafe zum Waldrand auf als für die Weidegebiete in den Nordwestalpen. Andererseits könnten Faktoren wie beispielsweise die Dichte menschlicher Besiedlung das Prädationsrisiko im Schwarzwald relativieren. Wie erwähnt, können Effekte dieses potentiellen Faktors aufgrund fehlender Daten bislang nicht weitergehend analysiert und quantifiziert werden. Deutlich wird an dieser Stelle, dass in allen Gebieten, in denen Luchse auftreten, entsprechende Daten systematisch erfasst und für Auswertungen zugänglich gemacht werden müssen.

Strukturanalyse der Schafhaltung im Schwarzwald. Häufig wird das Ausmaß der an Weidetieren ver-ursachen Schäden als ausschlaggebend für die Akzeptanz betrachtet, die Großraubtieren wie dem Luchs entgegengebracht wird. Den Luchs betreffend wird die ökonomische Relevanz der Schäden offensichtlich häufig überschätzt. Die Schadensregulierung im Großraubtiermanagement basiert in der Re-gel auf den Pfeilern Prävention und Entschädigung. Vor allem den Präventionsmaßnahmen kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu, weil sie bereits vor der Schadensentstehung ansetzen und dadurch zusätzlichen Konfliktpotentialen wie Entschädigungsmissbrauch und nicht eindeutig zu beurteilenden Schadensfällen vorbeugen. Zudem bieten sich im Rahmen der Konzeption und vor allem bei der Umsetzung von Präventionsmaßnahmen sehr gute Möglichkeiten, Interessensgruppen und unmittelbar betroffene Tierhalter direkt in das Vorgehen einzubinden. Diese offenkundigen Vorteile bergen jedoch die Gefahr eines ineffizienten Ressourceneinsatzes, nämlich dann, wenn die Aufwendungen für entsprechend wirksame Präventionsmaßnahmen die Kosten für eine Entschädigung bei weitem übersteigen. Diese Situation kann vor allem bei insgesamt geringen Schadensumfängen und eher sporadisch anfallenden Schadereignissen auftreten. Sobald Präventionsmaßnahmen offensichtlich gegen ökonomische Grundsätze verstoßen, ist auch ihre akzeptanzfördernde Wirkung in Frage gestellt, weil die getätigten Aufwendungen als unangebrachte Verschwendung verstanden werden können. Hier wird klar, dass das Verhältnis von Prävention und reinen Entschädigungsleistungen sehr sorgfältig abgewogen werden muss. Die Einkommensstruktur und Einkommensquellen der Schafhalter in einer bestimmten Region spielt hierbei möglicherweise eine wichtige Rolle. Wird ein Großteil der Erlöse aus Primärprodukten der Schafhaltung erzielt, werden Schäden durch den Luchs sicher eher als schmerzhafte Verluste betrachtet als dies der Fall ist, wenn Schafe hauptsächlichen im Rahmen des Vertragsnaturschutzes unter Gesichtspunkten der Landschaftspflege gehalten werden. Meist werden beide Einkommensquellen genutzt. Eine Strukturanalyse der Schafhaltung im Schwarzwald soll das Verhältnis der beiden Einkommensquellen herausarbeiten und aufzeigen, inwieweit die Thematik entscheidungsrelevante Aspekte für ein Großraubtiermanagement beinhaltet. Die Analyse zeigt, dass Primärprodukte zwar noch immer einen wichtigen Anteil der aus der Schafhaltung erzielten Erlöse ausmachen. Andererseits ergeben sich für Schafhalter aber auch Einkommensquellen im Rahmen von Landschaftsoffenhaltungsmaßnahmen. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass die Raubtier-Schadensprävention vor allem in Kulturlandschaften einer verstärkten Kosten-Nutzen-Kalkulation unterworfen werden sollte.

Prädationsexposition von eingebürgerten Paarhuferarten. In verschiedenen Regionen Deutschlands kommen Paarhuferarten außerhalb ihrer natürlichen Verbreitungsgebiete vor. Die entsprechenden Arten werden in der Regel inzwischen als heimisch betrachtet bzw. durch das Jagdrecht als heimische Wildarten definiert. Die Verwundbarkeit dieser Vorkommen gegenüber Fressfeinden kann die Akzeptanz, die zurückkehrenden Großraubtiere seitens der Jagd entgegengebracht wird, regional maßgeblich beeinflussen. Ungulaten, die in Gebieten angesiedelt wurden, die nicht ihren natürlichen Habitaten entsprechen, sind dort möglicherweise in ihrem Feindvermeidungsverhalten beeinträchtigt und deshalb einem überproportionalen Prädationsdruck ausgesetzt. Weil die angesiedelten Paarhuferarten meist als attraktives Jagdwild gelten, kann sich ein Konfliktpotential im Zusammenhang mit dem Auftreten großer Beutegreifer ergeben. Fundierte Einschätzungen hinsichtlich möglicher Auswirkungen der Prädation auf die Populationsentwicklung der entsprechenden Paarhuferarten sind deshalb eine Grundlage für sachliche Diskussionen und damit Voraussetzung für die langfristige Re-Etablierung von Großraubtieren. Am Beispiel der im Schwarzwald angesiedelten Gämsen testeten wir Möglichkeiten für die Erstellung entsprechender Prognosen. Hierfür wurden aus derzeit zur Verfügung stehenden Forschungsarbeiten Parameter abgeleitet, um Gamshabitate hinsichtlich ihrer Eignung zur Feinvermeidung beurteilen zu können. Die entsprechende Analyse ergab, dass der Schwarzwald Gämsen nur sehr unzureichende Möglichkeiten zur Vermeidung von Fressfeinden bietet. Die Aussagekraft der Untersuchung wird jedoch durch die geringe Datenbasis, die der Parametrisierung zugrunde liegt, stark eingeschränkt. Zudem muss sich die Arbeit zum momentanen Zeitpunkt noch rein auf die Analyse der Habitatausstattung beschränken. Möglicherweise relevante Einflussfaktoren wie z. B. Alters- und Sozialstruktur der Räuber- und der Beutepopulationen oder das Angebot an alternativer Beute können aufgrund noch fehlender Erkenntnisse und Daten derzeit noch nicht in die Bewertung integriert werden. Untersuchungen in diesem Themenfeld sind sehr aufwändig und müssten in großem Umfang in Gebieten mit unterschiedlicher Lebensraumausstatung und unter Anwesenheit von Luchs- und Beutetierpopulationen durchgeführt werden. Die Thematik ist nicht nur für das Management relevant, sondern bietet vor allem interessante Möglichkeiten, Mecha-nismen von Räuber - Beute - Beziehungen unter Kulturlandschaftsaspekten intensiv zu untersuchen - ein Thema das zukünftig sicher an Bedeutung gewinnen wird, falls die Rückkehr von Großraubtieren in westeuropäische Lebensräume ernsthaft unterstützt werden soll.




Fazit

Im Unterschied zum Wolf, der durch selbständige Zuwanderung die Durchführung von Managementmaßnahmen für jedermann nachvollziehbar erforderlich macht, ist im Fall des Luchses die aktive Unterstützung der Rückkehr der Raubkatze notwendig, um eine dauerhafte Etablierung und Verbreitung dieses ehemals heimischen Beutegreifers in Deutschland überhaupt erst zu ermöglichen. Damit ist die zentrale Frage, die sich den für ein Luchsmanagement in Deutschland Verantwortlichen derzeit stellt, klar vorgegeben: Es muss darüber entschieden werden, ob Luchspopulationen in weiteren Gebieten neben Harz und Bayerisch-Böhmischen Wald etabliert werden sollen. Solange die übergeordneten Zielvorgaben nicht klar definiert sind, laufen auch Managementpläne, die teilweise bereits für einzelne Regionen bzw. Bundesländer entwickelt wurden, ins Leere. Die derzeit auf Länderebene verfügbaren Konzepte beschränken sich auf Vorgaben zum Umgang mit der jeweils vorherrschenden Situation. Zwar stellt dies die originäre Aufgabe von Managementplänen dar, innerhalb einer konsistenten Gesamtstrategie müssen jedoch den Managementplänen zunächst Aktionspläne vorgeschaltet werden, in denen übergeordnete Ziele definiert und der Handlungsablauf zur Erreichung des Gesamtziels dargestellt ist. Diese wichtigen Schritte wurden bei den Bemühungen um eine Etablierung des Luchses in Deutschland bislang ausgelassen.
Um die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für die Rückkehr der Raubkatze nach Deutschland zu schaffen, sind zunächst grundsätzliche Fragen zu klären:
Soll die Etablierung des Luchses in Deutschland aktiv unterstützt werden?
In welche Regionen soll der Luchs zurückkehren?
Ist eine länderübergreifende Ressourcen- und Aufgabenverteilung zwischen den Bundesländern im Sinne eines Luchsmanagement auf Metapopulationsebene grundsätzlich gewollt und möglich?
Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit können grundlegende Entscheidungen zum zukünftigen Umgang mit dem Luchs in Deutschland unterstützen. Unsere Analysen zeigen Forschungsbedarf auf, sie machen aber auch deutlich, welche Bereiche derzeit nicht oder nicht mehr im Zentrum der Anstrengungen und Investitionen stehen müssen. Klar wurde beispielsweise, dass auf Länderebene kein weiterer Entwicklungsbedarf beim Monitoring und hinsichtlich der Methoden zur Schadensprävention besteht. In allen in Frage kommenden Regionen stehen den verantwortlichen Behörden Fachleute zur Verfügung. Hinsichtlich Methodik und technischen Anleitungen zur Umsetzung kann bereits seit geraumer Zeit auf umfangreiche Erfahrungen (Kaphegyi et al. 2009; Kaphegyi et al. 2006; Anders 2008; Huckschlag 2007; Kaczensky et al. 2009) und auf öffentlich zugängliches Material aus den Nachbarländern, namentlich aus der Schweiz, zurückgegriffen werden (Angst 1998; Angst et al. 2000g; Angst et al. 2002). Zur Unterstützung einer effizienten Datenverarbeitung und Vorbereitung eines länderübergreifenden Monitoring-Datenaustauschs steht seit dem Frühjahr 2009 ein online Erfassungswerkzeug zur Verfügung (Kaphegyi et al. 2009). Die Akzeptanzförderung betreffend, ist der Dialog zwischen den Interessensgruppen in nahezu allen mit der Thematik befassten Bundesländern inzwischen in Arbeitskreisen organisiert. Hinzu kommt, dass sich die Schadensproblematik den Luchs betreffend als weniger schwerwiegend darstellt und damit verbundene Konfliktpotentiale in der Vergangenheit offensichtlich häufig überschätzt wurden.
Forschungsbedarf besteht auf ökologischer Seite. So sind die meisten Zusammenhänge, die der Ausbreitung und der Dynamik von Luchspopulationen in Kulturlandschaften zugrunde liegen, bislang noch weitgehend unklar. Neue Erkenntnisse hierzu können den zukünftigen Schutz und das Management des Luchses in Westeuropa maßgeblich unterstützen. Wie die Etablierung des Luchses in der Schweiz zeigt, kann die erfolgreiche Rückführung des Beutegreifers aber durchaus bereits zum jetzigen Zeitpunkt und auf der Basis des derzeitigen Wissens angestrebt werden.
Unsere Arbeiten zeigen, dass die sehr schleppende Etablierung des Luchses in Deutschland im Wesentlichen darauf zurückzuführen ist, dass die momentanen Planungs- und Arbeitsansätze nicht mit den Lebensraumanforderungen des Luchses in Einklang stehen. Was bislang fehlt, sind länderübergreifende Konzepte, die sich vorwiegend an Lebensräumen und nicht an administrativen Grenzen orientieren. Ent-sprechende Konzeptionen müssen über einen Daten- bzw. Informationsaustausch zwischen Länderverwaltungen hinausgehen. Wichtig wäre ein bundesweit abgestimmtes Management, das alle potentiellen und tatsächlichen Vorkommen in Deutschland und den angrenzenden Staaten im Rahmen eines Meta-Populationskonzeptes behandelt. Neben adäquaten Voraussetzungen für Schutz und Management bietet ein solches Vorgehen Möglichkeiten, die oben erwähnten offenen Forschungsfragen zu beantworten. Die Bearbeitung ökologischer Aspekte erfordert den Einsatz von Ressourcen und kann nur in Gebieten mit Luchsvorkommen durchgeführt werden. Nationale Konzepte müssen deshalb die Bildung von Forschungsverbünden beinhalten und einen länderübergreifenden, zielgerichteten Ressourceneinsatz gewährleisten.

Förderzeitraum: 28.02.2006 - 30.09.2009 (3 Jahre und 7 Monate)
Fördersumme: 90.098,00
Förderbereich: II.6.1
Stichworte: Arten- / Biotopschutz , Modell
Publikationen: