Optimierung von Naturschutzleistungen und der Erholungsnutzung in Großschutzgebieten zur Entscheidungsunterstützung für das Schutzgebietsmanagement

Aktenzeichen 33059/01
Abschlussbericht:
Projektträger: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Abteilung für Biometrie und Umweltsystemanalyse
Tennenbacher Str. 4
79106 Freiburg
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Telefon: 0761 203 3750
Internet: http://www.biom.uni-freiburg.de
Bundesland: Baden-Württemberg
Beschreibung:
Zielsetzung und Anlass des Vorhabens

Die Aufgaben von Nationalparks und allgemein von Schutzgebieten sind vielfältig. Ein Hauptauftrag ist die natürliche biologische Vielfalt zusammen mit der ihr zugrundeliegenden ökologischen Struktur und den unterstützenden ökologischen Prozessen zu schützen. Das bedeutet Schutz der Biodiversität in Genen, Arten und Lebensräumen, sowie der natürlichen Prozesse. Die selbstregulierende Dynamik von Ökosystem soll bewahrt bzw. zu reaktiviert werden. Gleichzeitig sollen Schutzgebiete Menschen als Naturerfahrungs- und Erholungsräume dienen, in denen Natur hautnah erlebt, gespürt und bestaunt werden kann. Daneben ist die Vermittlung des Wertes und der Schönheit, den die Natur für den Menschen hat, insbesondere für Nationalparks elementar. Dieser Bildungsauftrag ist deswegen so bedeutsam, weil Menschen vor allem durch persönliche Naturerlebnisse motiviert werden, Natur aktiv zu schützen.
Die weltweit steigenden Besuchszahlen veranschaulichen die Beliebtheit von Schutzgebieten. Durch die steigende Nachfrage in Kombination mit neuen Technologien (z.B. E-Mountain-bikes) werden nun auch Bereiche von Schutzgebieten aufgesucht, die vorher schwer erreichbar und von Störungen weitestgehend verschont waren. Auch im Zuge der Covid-19 Pandemie wurden Schutzgebiete mit neuen Herausforderungen konfrontiert, die vor allem durch den Besucheransturm verursacht wurden. Aus zahlreichen Studien ist allerdings bekannt, dass wildlebende Tiere den Men¬schen und seine Aktivitäten in der Natur als Störung wahrnehmen. Daher muss insbesondere in Schutzgebieten berücksichtigt werden, dass Wildtiere auf den Menschen mit Vermeidungsstrategien reagieren, die denen gegenüber na¬türlichen Beutegreifern ähneln. Die Wirkungen von Störungen auf das Tierreich sind vielfältig. Zum Beispiel passen Wildtiere ihr Verhalten an, indem sie Menschen in Raum und Zeit meiden und mehr Sicherungsverhalten zeigen. Es gibt einen messbaren Trend, dass Tiere stärker nachtaktiv werden, je stärker sie menschlichen Störungen ausgesetzt sind, was sich weltweit für zahlreiche Tierarten beobachten lässt. Durch die Meidung menschlich genutzter Orte müssen Wildtiere an Orten und während Zeiten aktiv sein, die nur ein suboptimales Ressourcenangebot bieten. Dadurch werden Überlebens- und Reproduktionsrate und folglich die Fitness der Wildtiere reduziert. In Folge kann es zu Auswirkungen auf ganze Populationen und schließlich über trophische Kaskadenketten sogar auf das Ökosystem kommen. Für ein konkretes Naturschutzgebiet lässt sich dies gegenwärtig nur mutmaßen, da wissenschaftliche Studien zur Übertragbarkeit fehlen.
Auf Grundlage bereits vorhandener Forschungsergebnisse lässt sich vermuten, dass die beiden zentralen Ziele von Nationalparks, Erholung in freier Natur und der Schutz der Biodiversität mit der ihr zugrundeliegenden Prozesse, miteinander im Konflikt stehen. Wie soll das Management in Nationalparks also mit steigenden Besuchszahlen umgehen? Handlungsoptionen können nur dann entwickelt werden, wenn das Problem hinreichend bekannt ist und entsprechende Informationen vorliegen. Wenn der Druck durch Besucher auf die Wildtiere minimiert werden soll, muss bekannt sein, wo sich die Menschen und die Wildtiere im Gebiet aufhalten. Denn erst mit dem Wissen um besondere Schutzgüter und potentielle Konfliktorte lassen sich effiziente Maßnahmen in der Besucherlenkung durchführen



Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenDas Projekt begann mit der Befragung aller 13 terrestrischen deutschen Nationalparks. Dafür wurde von Vertretern aller Nationalparks ein Online-Fragebogen ausgefüllt und anschließend in einem Telefon-Interview befragt. Das Ziel war es zu ergründen, wie deutsche Nationalparks mit den entgegengesetzten Zielen umgehen, einerseits natürliche Biodiversität und Prozesse zu schützen und andererseits Bildung und Erholung von einer zunehmenden Zahl von Besuchern zu fördern bei gleichzeitig steigendem Druck von außenstehenden Interessensvertretern, Tou¬rismus und Politik.

In einem Literaturreview untersuchten wir die Auswirkungen von Freizeitaktivitäten auf den Stress von freileben¬den Hirschartigen. Dabei wurden Messarten von Stress, Auswirkungen von verschiedenen Ak-tivitäten und Interaktionen zwischen diesen Störquellen untersucht. Bei den Stressauslösern wurde zwischen Tourismus und Jagd unterschieden und dazu als dritter Faktor der Kontext ge¬nommen. Für die Untersuchung in dieser Arbeit wurde eine qualitative Literaturanalyse durch¬geführt. Die Analyse orientierte sich methodisch dabei an der strukturierenden qualitativen In¬haltsanalyse, bei der das Material anhand von deduktiv und induktiv entwickelten Kategorien codiert und somit qualitativ analysiert wurde.

Der Frage, ob Wildtiere auch andere menschliche Aktivitäten als Prädationsrisiko wahrnehmen, wurde mit Kamerafallen nachgegangen. Dazu wurden zwischen November 2009 und Mai 2012 wurden an 28 Positionen Kamerafallen im Natio¬nalpark Bayerischer Wald aufgestellt.

Zudem untersuchten wir mit GPS-Sendern versehene Tiere, um ihre Bewegungs- und Habitatnutzungsmuster zu quantifizieren. Dabei handelte es sich um Luchse, Gämse, Rehe und Rothirsche sowohl im Nationalpark Bayerischer Wald als auch im Schweizer Nationalpark. Luchse wurden darüberhinaus über ganz Europa analysiert.

Schließlich führten wir ein Besuchermonitoring im NPBW durch, sowohl über klassische Befragungen, als auch Zählgeräte an Parkplätzen und durch die obigen Wildtierkamaras.



Ergebnisse und Diskussion

Die Ergebnisse des Arbeitspaket I wurden veröffentlicht: „Does public participation shift German national park priorities away from nature conservation?“ Darin konn¬ten wir drei grundlegende Problemem identifizieren, die sich in fast allen Nationalparken wiederfanden: (1) Besucherströme werden in Nationalparks kaum kontrolliert oder aktiv gelenkt. (2) Flexible Zugangsregelungen werden durch Entscheidungsstrukturen einge¬schränkt, die durch beschränkte Befugnisse und langwierige bürokratische Prozesse gekenn¬zeichnet sind. Und (3) Die lokale Bevölkerung hat zum Teil hohe Erwartungen an den Nationalpark, da bei der Gründung ökonomische Vorteile für die Region in den Vordergrund gestellt wurden, um die lokale Akzeptanz zu steigern. Der Erwartungshaltung von Besu-chern kann seitens des Naturschutzes oft kein äquivalentes Gegengewicht entgegengesetzt werden.

Bei der Analyse der Fotofallen zeigte sich, dass die Meidung von Menschenkontakt auf der tageszeitlichen Skala über alle untersuchten Tierarten hinweg stattfindet. Physiologische Stressindikatoren nahmen mit zunehmender Erholungs- und Jagdintensität zu und sanken mit zunehmender forstwirtschaftlicher Aktivität. Die Erholung des Menschen hatte den stärksten Einfluss auf den Stress der Tiere, gefolgt von der Jagd.

Die GPS-Daten zeigen, dass das Habitatwahlverhalten von Rotwild durch Jagd- und Freizeitaktivitäten negativ beeinflusst wird und dass Huftiere anthropogene Infrastrukturen noch stärker meiden, wenn beide Störungsquellen zusammen auftreten, was auf einen kumulativen Effekt hindeutet. Rotwild mied die Nähe von Wanderwegen in Zeiten intensiver Störungen, d.h. insbesondere tagsüber, wenn die Freizeitaktivitäten hoch waren und die Jäger aktiv waren. Während der Jagdsaison wurden die Wege auch außerhalb des Jagdgebiets gemieden. In der jagdfreien Zeit wurde jedoch in keinem Gebiet eine Meidung von Wegen beobachtet, wobei das Überqueren von Wegen stets vermieden wurde.
Im Schweizer Nationalpark deuten die Ergebnisse ebenfalls auf ein gewisses Maß an Stress hin, dem Gämsen und Rotwild ausgesetzt sind, aber im Vergleich zu anderen Einflüssen ist dieser nur sehr gering. Andere Umweltvariablen, z. B. die Höhenla¬ge, scheinen die Entfernung und die Raumnutzung im Allgemeinen viel stärker zu beeinflus¬sen.



Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation

Im Rahmen dieses Projektes wurden vier Vorträge der Öffentlichkeit vorgestellt.
* Eurodeer Treffen 25.-27.6.2018 in Sant'Antonio Valfurva, Italy
* BfN-Projektt reffen „Schalenwildmonitoring in den deutschen Nationalparken“ 16.-17.1.2020 in Bad Wildungen (Eifel)
* Jahrestreffen AG Forschung Monitoring 2021 ausgerichtet von Nationale Naturlandschaften e.V. vom 2.-3.9. 2021 (online)
* Forschungskolloquium 7.-8.10.2021 im Haus zur Wildnis (Bayerischer Wald)

Aus der Arbeit dieses Projektes sind bislang fünf wissenschaftliche Manuskripte erstellt worden, deren Inhalt im Bericht wiedergegeben wird. Die Manuskripte wurden bereits teilweise bei internationalen wissenschaftlichen Zeitschriften einge- reicht oder sollen in naher Zukunft eingereicht werden. In den Manuskripten wird jeweils auf die Förderung durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt hingewiesen.



Fazit

In Anbetracht der Ergebnisse dieser, aber auch früherer Studien auf dem Gebiet der Erholungsökologie sowie der Tatsache, dass Erholungsaktivitäten in Schutzgebieten weltweit zunehmen, halten wir es für wichtig, Managementmaßnahmen zur Abschwächung der negativen Auswirkungen von Erholungsaktivitäten auf Wildtiere auszuweiten, um die Koexistenz zwischen Erholungssuchen- den und Wildtieren langfristig zu gewährleisten.

Für Wildtiere, die in Nationalparks und anderen Schutzgebieten Störungen durch menschliche Aktivitäten ausgesetzt sind, sollte jede zusätzliche Art von Störung auf ein Minimum beschränkt werden, um die daraus resultierenden Verhaltensanpassungen der Tiere möglichst zu vermeiden. Dies erfordert die räumliche und zeitliche Einschränkung der Jagd sowie die Einführung strengerer Regeln für Wanderer und Radfahrer, z. B. die Verpflichtung, auf den Wegen zu bleiben, und ein Übernachtungsverbot. Zwar ist über den Effekt nächtlicher Störung noch nichts bekannt, aber die von uns dargelegten Reaktionen auf Besucher legen eine Beeinträchtigung nahe, die deshalb vorsorglich in Schutzgebieten eingeschränkt sein sollte. Da wir festgestellt haben, dass sich Wanderwege deutlich negativ auf die Bewegung von Wildtieren und die Nutzung von Lebensräumen auswirken, sollte die Wegedichte so gering wie möglich gehalten werden, damit sich Wildtiere so ungehindert wie möglich bewegen können und genügend ungestörter Lebensraum zur Verfügung steht.

Ein weiterer wichtiger Faktor, der für ein erfolgreiches Wildtiermanagement berücksichtigt werden sollte, ist die Sensibilisierung der Besucher für die Störungen, die ihre Aktivitäten für Wildtiere darstellen. Oft ist das Bewusstsein der Besucher eher gering, was dazu führen kann, dass der Druck auf die Wildtiere durch falsches oder unachtsames Verhalten zunimmt. Der Einsatz von Ranger oder Führungsleitern hat sich bewährt, ebenso Umweltbildungsangebote.

Bei der Planung von Maßnahmen sollten die Ausgangsbedingungen jedes Gebietes beachtet werden. Hiermit sind beispielsweise Jagdgeschichte und Nutzungsgeschichte gemeint. Diese geben ein klares Bild von den bisherigen Erfahrungen der Tiere mit Menschen. Damit können Schutzmaßnahmen und Erlebbarkeitsangebote anhand dieser evaluierten Erfahrungen sinnvoll gestaltet werden. Außerdem sollten Aktivitäten regelmäßig, aber in räumlich und zeitlich begrenztem Rahmen stattfinden. Dies schafft Vorhersehbarkeit für die Tiere und führt eher zu Gewöhnungen der Tiere an menschliche Aktivitäten. Dabei sinken die Stressreaktionen der Tiere und dies wiederum ermöglicht den Menschen eine bessere Erlebbarkeit.


Förderzeitraum: 01.04.2017 - 31.01.2022 (4 Jahre und 10 Monate)
Fördersumme: 124.500,00
Förderbereich: 12
Stichworte: Arten- / Biotopschutz
Publikationen: