Nachhaltigkeitsbewertung als Basis für Kreditanreize am Beispiel des Modells der Edekabank für den Lebensmitteleinzelhandel – Beitrag zur Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels des Pariser Klimaschutzabkommens

Zielsetzung & Anlass

Das 36 Monate laufende Projekt hat zum Ziel, die Nachhaltigkeitsleistung von Lebensmitteleinzelhändler*innen zu fördern.
Die Erreichung des vorrangigen Pariser Klimaziels (1,5°C) ist eine hehre Aufgabe unserer modernen Gesellschaft, und viele Bereiche mit wirtschaftlicher Ausrichtung müssen dazu adäquat - d.h. klimakompatibel - transformiert werden, so auch der Lebensmitteleinzelhandel.
Finanzdienstleistern kommt bei solchen Transformationsprozessen eine besondere Rolle zu, da sie das dazu erforderliche Kapital bereitstellen.
Im Rahmen des Projektes werden am Bespiel der Edekabank AG erste Schritte aufgezeigt, wie diese Transformation im Lebensmitteleinzelhandel aus Bankensicht durch gezielte Beratung mit finanzieller Anreizsetzung gefördert werden kann. Neben der konzeptionellen Entwicklung der dazu erforderlichen Instrumente ist die modellhafte Erbprobung mit Praxispartnern aus dem Lebensmitteleinzelhandel (Großhandelsregionen EDEKA Rhein-Ruhr und EDEKA Nord sowie Lebensmitteleinzelhändler*innen) ein wesentlicher Bestandteil des Projektes, um so schließlich eine praxistaugliche Vorlage für die Bankenlandschaft zu kreieren. Insbesondere das Bewertungskonzept für den Lebensmitteleinzelhandel könnte für andere Banken als Blaupause von Interesse sein. Denn gerade für den Lebensmitteleinzelhandel – der eine enorme Bedeutung für unsere Gesellschaft und das Erreichen der Pariser Klimaziele hat – existieren noch keine systematischen Bewertungsinstrumente im Finanzdienstleistungssektor.
Konkretes Ziel des Projektes ist es also, Verfahren und Instrumente in der Kreditvergabe zu entwickeln und modellhaft mit den o. g. Kooperationspartnern zu erproben, mittels derer der Lebensmitteleinzelhandel bei der Transformation hin zu nachhaltigerem Handeln im Einklang mit den Pariser Klimazielen motiviert und unterstützt werden kann. Dazu sollen am Beispiel der Edekabank AG selbstständige Lebensmitteleinzelhändler*innen (kurz LEH) hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeitsleistung wissenschaftlich fundiert bewertet und auf Basis dieser Bewertung Maßnahmen zur Verbesserung systematisch aufgezeigt werden.

Arbeitsschritte & Methoden

Das Projekt entfaltet sich durch Folgende Hauptschritte:
1. Qualitative Typenbildung von Lebensmitteleinzelhändler*innen auf Basis von qualitativen Interviews und quantitativen Umfragen.
2. Entwicklung und Erprobung eines Bewertungsschemas zur Beurteilung der Nachhaltigkeitsleistung einzelner Lebensmittelmärkte u. a. unter Berücksichtigung von
a.) ausgewählten Lebensmitteln aus den emissionsstärksten Bereichen,
b.) Kühleinheiten sowie
c.) Gebäudeverbräuchen.
Dieser ökologische Fußabdruck und der Temperaturbeitrag bilden die Grundlage der Schätzung des Transformationswillens eines LEH.
3. Entwicklung von Bankprodukten als Anreizsystem (Bonuspunkte für die Kreditvergabe gemäß Beitrag zum 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens) sowie
4. Erarbeitung und Erprobung eines Beratungsleitfadens für Firmenkundenberater*innen.
Ad 1. Neben einer umfangreichen Literaturrecherche zur Aufarbeitung des aktuellen Wissensstandes basiert der erste Zugang auf qualitativer Forschung, nämlich auf sog. semi-strukturierten Interviews. Insgesamt wurden in diesem Rahmen vier Personen aus dem Lebensmittelgroßhandel und zehn Kaufleute interviewt. Zudem wurde außerplanmäßig – in Ergänzung zu den beiden anderen Perspektiven – ein*e Firmenkundenberater*in aus der Edekabank AG befragt und es wurde eine Fokusgruppe mit drei Firmenkundenberater*innen abgehalten. Im Anschluss an diese Tätigkeiten wurden die Aufnahmen von einem professionellen Dienst transkribiert, um sie Analysen mittels der Software MAXQDA zugänglich zu machen. Diese Transkriptionen bilden mithin die Grundlage zur Ausarbeitung der Typologie bzw. das Fundament zur Erstellung der quantitativen Umfrage. Auf der Erstellung der quantitativen Umfrage liegt aktuell der Arbeitsschwerpunkt.
Ad 2. Die Datenerhebung zu Scope 1 und 2 Emissionen bei den Kaufleuten ist dagegen aufgrund der von der Edekabank AG eingerichteten Datenplattform wesentlich weiter als zuvor erwartet; im sog. Wirkungstransparenztool liegen mittlerweile 125 Datensätze zu Kaufleuten vor, sodass die Sichtung und Prüfung der Emissionsdaten sowie die Analyse der Datenzusammenhänge bereits begonnen haben. Zudem wurde bereits der Temperaturbeitrag von insgesamt 20 EDEKA-Märkten (zu 11 Kaufleuten) in Kooperation mit dem Unternehmen right. based on science analysiert.

Ergebnisse & Diskussion

Dass Nachhaltigkeit grundsätzlich mehrdimensional ist, ist wissenschaftlich evident. Nachhaltiges handeln im Lebensmitteleinzelhandel geschieht aber im Speziellen entlang von drei Dimensionen: Personal, Sortiment und Energiemanagement.
In allen drei Bereichen lassen sich zu den in den geführten Interviews wiedergegebenen Maßnahmen unterschiedliche Ausprägungen bzw. Ausprägungsstärken identifizieren:
1. Bspw. reichen die Maßnahmen im Bereich Personal von „Mindestlohn und fertig“ bis hin zu „Wir haben ihm dann geholfen, seine Wohnung einzurichten“.
2. Im Energiemanagement reichen die Maßnahmen von einfacher Umstellung auf LED und/oder Kühltechnik mit Türen und/oder Einrichtung einer PV-Anlage bis hin zu „Ich schalte nur noch jede zweite Glühbirne an.“.
3. Im Sortiment reichen die Maßnahmen von Reduktionen bis hin zu starken Steigerungen des Regional-/Bioanteils. Aufschlussreich sind daneben auch Auslegungsversuche, bspw. italienische Produktimporte als „regional“ zu deklarieren.
Mithin weisen Kaufleute stark unterschiedliche Ausprägungen entlang der drei Handlungsdimensionen auf; ein klares Muster lässt sich dimensionsübergreifend bislang jedoch nicht erkennen; vielmehr sind Ursachen und Erklärungen aktuell nur individuell identifizierbar. Dabei manifestiert sich auf Basis von Literaturrecherche und Interviewanalyse folgende Vermutung: Rahmenbedingungen und Persönlichkeitsmerkmale verstärken oder mildern Motive und filtern darüber die Relevanz spezifischer Maßnahmen bei den Akteuren. Neben den ersten qualitativen Erkenntnissen wurden auch Fortschritte bei der quantitativen Modellbildung erzielt. So haben erste Literaturuntersuchung gezeigt, dass gerade mehrdimensionale Aktivitätsbewertungen im Lebensmitteleinzelhandel nur Ausnahmefälle darstellen sowie methodisch uneinheitlich und zu grobgranular ausfallen. In den wenigen Ansätzen finden im Regelfall Emissionsäquivalente und hier dann einfache statische Kenngrößen (Mittelwerte, Mediane usw.) ihre Anwendung; damit lässt sich weder eine adäquate Differenzierung vornehmen noch lassen sich technologiezulässige Verbesserungsvorschläge darüber ableiten.

Weiterführende Informationen/Links:
Projektpartner Leibniz Fachhochschule
Projektpartner Edeka Bank

Öffentlichkeitsarbeit

Während der gesamten Projektlaufzeit von 36 Monaten sind diverse Kommunikationsmaßnahmen (Tagungen, Online-Veranstaltungen etc.) geplant, damit das Projekt eine größere Nachhaltigkeitswirkung entfalten kann.
Ziele und erste Erkenntnisse des von der DBU geförderten Projekts „Nachhaltigkeitsbewertung als Basis für Kreditanreize am Beispiel des Modells der Edekabank für den Lebensmitteleinzelhandel“ wurden bisher auf zwei Veranstaltungen vorgestellt:
1. Hybride Auftaktveranstaltung am 3. Mai 2022 an der Leibniz FH mit mehr als 30 Teilnehmern/-innen (23 Präsenz und ca. 10-15 online); siehe dazu https://leibniz-fh.de/2022/05/23/perfekter-einstieg/
2. Wissenschaftlicher Workshop am 28. September 2022 an der Leibniz FH.
Infolge der Auftaktveranstaltung ist eine neue Kooperation und eine Projektarbeit mit dem TÜV Nord AG entstanden. In dem Projekt entwickeln Prof. Dr. Holger Märtens, Prof. Dr. Andreas Dellnitz und Wirtschaftsinformatikstudierende in Kollaboration mit der TÜV Nord AG einen Corporate Carbon Footprint Calculator; der Kickoff-Workshop fand am 25. Oktober 2022 statt.
Darüber hinaus ist ein Sammelbandbeitrag entstanden, der im Herbst 2023 bei Springer erscheinen wird: Dellnitz, A.; Zimmermann, S. (2023): Nachhaltigkeitsbewertung kommunaler Projekte – Ein Plädoyer für den Einsatz der Data Envelopment Analysis. In: Kristin Butzer-Strothmann und Friedel Ahlers (Hrsg.): Kommunales Nachhaltigkeitsmanagement – Ein integrativer Ansatz mit Fokus Wirtschaft am Beispiel der Stadt Hannover, Springer, Berlin/Heidelberg.
In diesem Beitrag wird ein Bewertungsvorschlag für Nachhaltigkeitskonzepte aus kommunaler Perspektive erarbeitet; eine Danksagung an die DBU wurde hier eingebunden.
Für das Jahr 2023 wurden bereits einige weitere Aktivitäten geplant bzw. befinden sich noch in der Planung:
1. Aktuell läuft die Planung zu einem weiteren Nachhaltigkeitsworkshop für den 22. August 2023. Dieser soll erneut an der Leibniz FH und gemeinsam mit dem „Runden Tisch Nachhaltigkeit“ (https://www.klimaschutz-niedersachsen.de/veranstaltungen/Runder-Tisch-Nachhaltigkeit-2610) stattfinden, um größere Reichweite zu entfalten.
2. Der Besuch zweier internationaler Konferenzen (die „OR 2023“ und „DEA45: International Conference on Data Envelopment Analysis“) wurde avisiert, um die bis dahin gesammelten Projektergebnisse einer wissenschaftlichen Belastungsprobe zu unterziehen.
3. Zur nachhaltigen Sicherung und Verbreitung der Projekterkenntnisse wird von Prof. Dr. Andreas Dellnitz ab dem September 2023 ein Wahlfach im Bachelor-Studiengang Wirtschaftsinformatik angeboten: Rechnergestützte (Öko-)Effizienzanalyse von Unternehmensaktivitäten.

Weiterführende Informationen/Links:
Projektauftritt Nachhaltiger Lebensmitteleinzelhandel
Aktenzeichen 37417/01
Abschlussbericht:
Projektträger: Leibniz-Fachhochschule
Expo Plaza 11
30539 Hannover
weitere Projekte aus der Umgebung
Telefon: +49 511/95784-26
Internet: -
Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Förderzeitraum: 01.04.2022 - 01.04.2025 (3 Jahre)
Fördersumme: 124.591,00
Förderbereich: 02
Stichworte: Lebensmittelindustrie, Einzelhandel
Publikationen: