07.11.2019 | Ein Förster, sein Wald und die Wende

30 Jahre Mauerfall: Bundesförster Uwe Vanhauer als Zeitzeuge im Interview

Uwe Vanhauer im Authausener Wald © Steffen Brost (DBU)
Seit knapp 35 Jahren betreut der Revierleiter Uwe Vanhauer vom Bundesforstbetrieb Mittelelbe den Authausener Wald.
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Uwe Vanhauer im Authausener Wald © Steffen Brost (DBU)
Seit der Übertragung des Authausener Waldes an das DBU Naturerbe 2008 steht die Arbeit von Revierleiter Uwe Vanhauer vom Bundesforstbetrieb Mittelelbe im Schwerpunkt im Zeichen des Naturschutzes.
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Uwe Vanhauer © Steffen Brost (DBU)
Revierleiter Uwe Vanhauer vom Bundesforstbetrieb Mittelelbe ist seit 1985 Revierleiter im Authausener Wald, heute Teil des DBU Naturerbes.
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Karte DBU-Naturerbefläche Authausener Wald © DBU
Die rund 2.200 Hektar große DBU-Naturerbefläche Authausener Wald in Sachsen ist eine von 71 Flächen, die das DBU Naturerbe vom Bund übernommen hat.
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Kossa. Er kennt den Wald wie seine Westentasche: Seit 1985 ist Uwe Vanhauer vom Bundesforstbetrieb Mittelelbe Revierleiter im Authausener Wald (Landkreis Nordsachsen, Sachsen). Als Zeitzeuge berichtet er darüber, wie sich seine Arbeit als Förster im Wandel der Zeit veränderte, und inwiefern die politische Wende vor drei Jahrzehnten Auswirkungen auf sein Leben hatte. Als ehemalige Militärfläche der Nationalen Volksarmee (NVA) der damaligen DDR gehört der rund 2.200 Hektar (ha) große Authausener Wald inzwischen zum Nationalen Naturerbe und wurde 2008 von dem gemeinnützigen Tochterunternehmen der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), dem DBU Naturerbe, übernommen.

Frage: Schon während der Schulzeit ist Ihnen nach einem Arbeitseinsatz im Wald klar gewesen, dass Sie Förster werden wollten. Inwiefern unterschied sich ihre Ausbildung von der heute?

Antwort: „Während meiner zweijährigen Ausbildung zum Forstfacharbeiter Mechanisator, dem heutigen Forstwirt, bot mir mein Betrieb bereits an, im Anschluss an die dreijährige Militärzeit zu studieren. Und der Betrieb hat das dann auch geregelt. Das war für mich deutlich einfacher als die Einschreibung an einer Hochschule für Kinder heutzutage. Wir wurden so durchgelenkt. Um auf die Fachschule zu kommen, spielten aber nicht nur Noten eine Rolle, sondern auch das Elternhaus. Für das Studium war es hilfreich, ein typisch sozialistisches Kind zu sein. Viele wurden zum Studium nicht zugelassen, weil sie in der sogenannten Opposition waren. Im Studium hatten wir dann das Fach Marxismus-Leninismus, aber kein Latein, was ich heute noch merke, wenn es um Pflanzenbestimmungen geht. Vor meinem Abschluss klopften auch schon Vertreter des Militärforstwirtschaftlichen Betriebes Zülldorf bei mir an, die damals für die Nationale Volksarmee militärische Flächen betreuten. Ich hatte keine Verwandtschaft im Westen, also im ‚nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet‘. Von daher war ich vertrauenswürdig, und mir wurde eine Revierleitung angeboten. 1985 bin ich dann ins Revier Authausen in der Nähe von Söllichau gekommen. Versprochen wurden mir eine 4-Raum-Wohnung, viel Geld und ein Dienstfahrzeug. Bekommen habe ich dann eine 2-Raum-Wohnung mit Dienstzimmer, ein Moped und 420 Ost-Mark, wovon 82 Mark für die Miete wieder abgezogen wurden. Mein Wohnzimmer war gleichzeitig mein Dienstzimmer, aber meine Frau und ich kamen damit aus.“

Frage: Was kennzeichnete ihre Arbeit als Förster vor der Wende?

Antwort: „Damals war der Authausener Wald ein Übungsplatz für Pioniere. Daher hielten wir drei große Flächen für das Militär offen. Drei bis vier Mal im Jahr kamen die Soldaten und haben beispielsweise Gräben gebuddelt. Es gab auch eine Fahrschulstrecke für Panzer. 1979 wurde eine 75 Hektar große Bunkeranlage am nördlichen Rand des Waldes fertiggestellt, die seit 2002 ein Militärmuseum ist. Trotz der militärischen Übung haben wir ganz normal forstwirtschaftlich gearbeitet. Damals war es üblich, dass wir beispielsweise drei Hektar Nadelholz für die Holzindustrie kahl geschlagen und dann mit 15.000 - 18.000 Pflanzen pro Hektar wieder aufgeforstet haben. Heute würden auch in der regulären Forstwirtschaft Kahlschläge in dieser Größenordnung nicht mehr genehmigt. Und wenn, dann würden längst nicht so viele Bäumchen gepflanzt. Was damals im Authausener Wald aber auch eine große Rolle gespielt hat, war die Jagd. An den Wochenenden von Mai bis in den Winter jagten die Weidgenossen der Jagdgesellschaft der NVA.

Frage: Wie haben Sie die Zeit um die Wende empfunden?

Antwort: „Wir haben gemerkt, dass etwas passieren würde. Meine Frau hatte als Ingenieurin bei der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, also bei der LPG, in der Schweine- und Rinderproduktion gearbeitet. Mit der Wende, nach ihrem zweiten Babyjahr wurde sie entlassen, weil die LPG aufgelöst wurde. Von den 30 Mitstudierenden meiner Frau haben gerade mal vier einen Job in der Landwirtschaft behalten. Sie war arbeitslos. Das war schlimm, zumal unsere Generation sehr auf Sicherheit bedacht ist. Wir fingen an, Geld zu zählen. Alles wurde teurer, was uns etwas Angst machte. Meine Frau machte eine Umschulung zur Bürokauffrau und fand auch nach vier, fünf Jahren einen neuen Job. Ich hatte Glück: Die Bäume sprachen deutsch. Wir wurden weiter gebraucht. Der Militärforst ging in den Bundesforst über, und für mich änderte sich im Grunde nichts, bis darauf, dass ich in einem anderen System arbeitete. Nach und nach wurden die Gehälter angepasst.“

Frage: Inwiefern änderten sich dann Ihre Arbeitsschwerpunkte?

Antwort: „Die Jagd blieb auch bei der Bundeswehr ein Thema. Allerdings haben wir nach der Wende Gäste geführt und jedes Jahr eine große Ansitz-Drückjagd organisiert. Kahlschlag gab es nicht mehr, sondern die sogenannte Zielbaumnutzung. Nach diesem Konzept werden in einem Abschnitt 60 bis 80 qualitativ hochwertige Bäume ausgesucht, die dann im Erntealter 40 Zentimeter und mehr Stammdurchmesser haben. Sogenannte Bedränger, bei denen beispielsweise die Kronen aneinanderschlagen, werden entnommen. Zudem haben wir wie vorher auch Laubbäume im Unterstand gepflanzt. Neben der Arbeit im Forst sind wir von der Bundesforst verantwortlich für die Verkehrssicherung an Bundes- und Autobahnen sowie Gleisstrecken und Bundeswasserstraßen.“

Frage: Wie haben Sie die Zeit im Authausener Wald von den 90er Jahren bis 2008 empfunden?

Antwort: Die militärische Nutzung wurde 1992/93 eingestellt. Die Liegenschaft ging in das Grundvermögen des Bundes über und sollte verkauft werden. Damit zog sich für uns die Zeit der Unsicherheit weiter, weil wir nicht wussten, ob und wenn ja, wann das Revier privatisiert würde. 2008 war dann endlich klar, dass der Authausener Wald in die Kulisse des Nationalen Naturerbes übergeht, die Deutsche Bundesstiftung Umwelt die Fläche übernimmt und ich weiter dort arbeiten konnte. Das war der Knaller! Wir waren inzwischen zur Miete in ein Haus nach Kossa gezogen. Das haben wir dann später gekauft.“

Frage: Dann stand Naturschutz im Fokus. Inwiefern hat das ihre Arbeit verändert?

Antwort: „Auf einmal sollten wir die Bewirtschaftung einstellen und die Voraussetzungen für Wildnis schaffen. Da ist uns Förstern erst einmal der Unterkiefer abgeklappt. Wir wurden in den vergangenen zehn Jahren zu richtigen Naturschützern. Wir greifen zwar noch ins Nadelholz ein, um Laubbäume dort freizustellen. Diese sollen möglichst gut gedeihen, damit sich ein stabiler Laubmischwald entwickeln kann. Wir schaffen Licht für Bäume, die in alle Richtungen wachsen, krumm und schief. Man könnte sagen wie Apfelbäume. Damit haben meine Nachfolger auch in Teilen der Fläche noch 40 Jahre zu tun. Am Ende soll der Wald sich selbst überlassen werden und sich natürlich entwickeln dürfen. Es ist super interessant zu gucken, was passiert.“

Frage: Wie hat der Authausener Wald die Extremwetterlagen der vergangenen zwei Jahre als Auswirkung des Klimawandels verkraftet?

Antwort: „Der Wald leidet stark unter der Trockenheit. 2018 hat es fast sechs Monate überhaupt nicht geregnet. Dann auch noch die Stürme – die haben auch viele Bäume umgelegt. Ganze Lärchenbestände sind vertrocknet und werden früher oder später zusammenbrechen. Wir wollen hier einen natürlichen Wald. Von daher heißt es: einfach mal beobachten. Irgendwas wird schon wieder wachsen. Aber es fällt mir manchmal auch schwer, einfach nur zuzusehen. Da ist es gut, dass wir an den Grenzen zu den Nachbarflächen anderer Eigentümer eingreifen, aufräumen und das Schadholz aufarbeiten können, um Forstschutzprobleme bei den Nachbarn zu verhindern. Für den Authausener Wald wünsche ich mir aber, dass die Bemühungen der DBU Früchte tragen und der Wald tatsächlich irgendwann einfach Wald sein darf.“

Bei Fragen zur DBU Naturerbefläche Authausener Wald: Uwe Vanhauer, Tel. 034243|21904

Hinweis an die Redaktionen: Ergänzend zum Interview finden Sie im Anhang sowie unter https://www.dbu.de/123artikel38452_1320.html  einen weiterführenden Hintergrundtext.

Bundesforstbetrieb Mittelelbe
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