Effizienzanalyse von partizipativen Instrumenten in der Regionalplanung

Stipendiatin/Stipendiat: Dr. Thomas Lichtenberg

Ausführliche Zusammenfassung der Arbeit:Auf der Insel Rügen wurde in den Jahren 2000 bis 2001 ein Regionales Entwicklungskonzept (REK) durchgeführt. Bei einem REK handelt es sich um ein informelles, auf Kooperation zwischen verschiedenen strukturpolitisch relevanten Akteuren beruhendes, außerhalb des rechtlichen Rahmen liegendes Verfahren, welches flächendeckende oder spezielle Themenfelder der Regionalplanung bearbeitet (vgl. Kap. 1). Für das REK auf Rügen wurde eine externe Moderation beauftragt. Vertreter aller wichtigen Interessengruppen für die Regionalentwicklung wurden für das Verfahren gewonnen und formulierten in Forumssitzungen kooperativ ein Leitbild für die Entwicklung der Insel Rügen. Dabei wurden Leitziele für alle Entwicklungsbereiche erarbeitet. Das Leitbild erhielt seine demokratische Legitimation durch einen Kreistagsbeschluss. Die Realisierung der Ziele wird durch konkrete Projekte angestrebt. Die vorliegende Arbeit evaluiert dieses Verfahren mit einer Zielerreichungs- und Effizienzanalyse. Die Evaluation unterteilt sich in drei Schritte: Sie untersucht die Durchführung des REK, die Umsetzung der daraus hervorgegangenen Projekte und die Effizienz des Verfahrens. Ein erfolgreiches REK ist die Voraussetzung zur Förderung der Projekte durch EU-Mittel. Da standardisierte, quantitative Daten sich als nicht tiefgründig genug zur Beantwortung der Forschungsfragen erwiesen hatten, wurden qualitative fokussierte Interviews mit Repräsentanten aller Entwicklungsbereiche durchgeführt. Um eine transparente und nachvollziehbare Auswertung des Datenmaterials zu gewährleisten, wurde die qualitative Inhaltsanalyse nach MAYRING angewendet. Diese Methode legt die einzelnen Schritte der Analyse offen und ermöglicht die Nachvollziehbarkeit der Schlussfolgerungen. Auf diese Weise wird einem entscheidenden Kritikpunkt an der Auswertung qualitativer Daten begegnet. Ferner erlaubt diese Vorgehensweise, vorab definierte Kategorien an das Datenmaterial heranzutragen und quantitative Aussagen daraus abzuleiten. Von daher bietet diese Methode die Möglichkeit, den häufig postulierten ?Methodenmix? mit ein und demselben Datenmaterial zu verwirklichen (vgl. Kap. 5). Als theoretischer Rahmen wurde der Untersuchung die Neue Institutionenökonomie zu Grunde gelegt. Dieser aus den Wirtschaftswissenschaften stammende Ansatz stellt eine Metatheorie dar, unter welcher sich insbesondere die Transaktionskosten-, Property Rights- und Principal-Agent-Theorie subsumieren lassen. Es wird theoretisch hergeleitet, dass kooperative Verfahren effizienter zu Entscheidungen und deren Umsetzung gelangen, als die repräsentative Demokratie dies vermag (vgl. Kap. 3). Dies liegt darin begründet, dass die Transaktionskosten bei kooperativen Verfahren zwar mit Blick auf die Verfahrenskosten steigen, dafür jedoch die Umsetzungs- und Überwachungskosten überproportional sinken. Ferner werden negative externe Effekte volkswirtschaftlich effizienter gelöst. Ineffizienzen des repräsentativen Politiksystems werden mit kooperativen Verfahren abgemildert. Die Tendenz zur Budgetmaximierung der Verwaltungen wird unterbunden, indem die Interessengruppen selbst für die Projektumsetzung zuständig sind. Damit wird das Principal-Agent Problem umgangen (vgl. Kap. 3). Die Einflussnahme von Verbänden auf politische Entscheidungsträger und die damit verbundenen Zugeständnisse werden dadurch entschärft, dass die Property Rights des ?Usus?- und des ?Usus Fructus?-Rechts? an öffentlichen Ressourcen in eine Hand gegeben werden. Dadurch werden ebenfalls das Principal-Agent- Dilemma umgangen und die Ressourcen effizienter genutzt. Diese theoretischen Überlegungen und daraus abgeleiteten Hypothesen (vgl. Kap. 3) erfahren an einer späteren Stelle der Arbeit eine Auseinandersetzung mit dem empirischen Material (Kap. 8).Das Ergebnis der Bewertung der Umsetzung des REK, welche mit vorab definierten Indikatoren durchgeführt wurde, zeichnet ein weitgehend positives Bild. Keiner der Teilnehmer verließ das Verfahren aus Unzufriedenheit vorzeitig. Das erstellte Leitbild wurde einstimmig akzeptiert, und die Teilnehmer des REK formulierten teilweise überraschende Leitziele und wegweisende Beschlüsse. Die subjektive Einschätzung der Befragten zu dem Verfahren war weitgehend positiv. Die Teilnehmer teilten den Eindruck, dass alle wichtigen Gruppen der Insel in das Verfahren integriert waren und dass die eigenen Belange angemessenen Niederschlag in dem Leitbild fanden. Als nur mittelmäßig zufriedenstellend wurde die Kontinuität der Teilnahme bewertet. Zum Verfahrensende hin nahm die Präsenz an den Forumssitzungen drastisch ab. Ebenfalls als nur teilweise erreicht wurde die Ausrichtung der Leitziele im Hinblick auf Nachhaltigkeit bewertet. Diesem definitionsbedürftigen Begriff wurde ein Indikatorensystem zu Grunde gelegt, welches die verschiedenen Aspekte der Nachhaltigkeit berücksichtigt und Kriterien für eine klare Bewertung vorschlägt. Die Einzelindikatoren wurden zu einem Gesamtindikator ?Nachhaltigkeit? aggregiert. Unzufriedenstellend fiel die Überprüfung der Leitziele aus. Häufig fehlten den Aussagen klare Hinweise, wann ein Ziel als ?erreicht? gelten kann und wie der aktuelle Stand der Realisierung zu bemessen ist. Dieser Mangel kann in Zukunft zu Unstimmigkeiten und Zweideutigkeiten führen kann. Zur Verwirklichung der Ziele wurden in Facharbeitsgruppen Projekte erarbeitet, welche im REK-Forum eine Gewichtung erfuhren. Der Kreistag verabschiedete die REK-Projekte im Dezember 2001. Im September 2002 wurde eine Abschätzung der Umsetzung der Projekte vorgenommen. Angesichts des relativ frühen Zeitpunktes der Betrachtung der Projekte konnte nur bedingt eine Bewertung vorgenommen werden, und die Aussagen wurden mit Vorbehalt formuliert. Das Ergebnis dieser Analyse zeichnet trotz der methodischen Schwierigkeiten ein wenig zufriedenstellendes Bild. Das Verhältnis zwischen formulierten Projekten und den Vorhaben, für die erste Schritte auf den Weg gebracht wurden bzw. für die eine langfristige Perspektive absehbar ist, stellt sich als unbefriedigend dar. Bei vielen Projekten zeichneten sich keinerlei Aktivitäten ab, und ihre Verwirklichung in der Zukunft bleibt ungewiss. Allerdings sagt die reine Quantität der Projekte nichts über die Qualität der Regionalentwicklung aus, so dass hierüber aus dem Projekt-Umsetzungs-Verhältnis keine direkten Schlüsse gezogen werden dürfen. Die Berücksichtigung der Nachhaltigkeit fiel in den Projekten tendenziell positiv aber heterogen aus. So wurden einige Aspekte der Nachhaltigkeit beispielhaft aufgegriffen, während andere völlig ignoriert blieben. Die Kooperation und Vernetzung in den Projekten war nur zum Teil gegeben. Aussagen über wirtschaftliche Effekte wie Arbeitsplätze, Reduzierung von Konflikten oder Aufdeckung von Synergien konnten nur in nominalskalierter Form festgestellt werden. Entsprechende Wirkungen sind absehbar, aber eine Spekulation über die Größenordnung verbietet sich (vgl. Kap. 7).Die Effizienzanalyse griff das umstrittene Instrument der Kosten-Nutzen-Analyse auf. Der Nutzen kooperativer Verfahren liegt in qualitativen Größen wie verbesserter Kommunikationskultur, Reduzierung von Konflikten, Bildung von Netzwerken zwischen Akteursgruppen u. ä. Der Nutzen setzt sich also überwiegend aus immateriellen Größen zusammen, so dass für eine Kosten-Nutzen-Rechnung Methoden gefragt waren, welche es erlauben, immaterielle Werte zu monetarisieren. Hierbei kann es sich nur um den ?funktionalen Wert? und nie um den ?Eigenwert? einer Sache oder Person handeln (vgl. Kap. 5). Diese Vorgehensweise kann nie ?exakt? sein, sondern allenfalls Näherungswerte bilden und Tendenzen aufzeigen. Ebenso wird sich eine gewisse Fragwürdigkeit der monetären Größen nie vollständig ausräumen lassen. Dennoch wurde dieser Weg von mir beschritten, da ein Verfahren wie ein REK klar messbare Kosten verursacht und Volksvertreter Entscheidungshilfen benötigen, um den Einsatz von Investitionen zu rechtfertigen. Ein ?Schwimmbad? oder eine ?Schule? stellen einen klaren Wert dar, demgegenüber gelten kooperative Verfahren leicht als ?wertlos?. Dass diese Einschätzung nicht zutrifft, sollte aus meiner Sicht mit wissenschaftlichen Argumenten untermauert werden. Die Verfahrenskosten für das REK errechneten sich aus folgenden Posten: Moderierende Firma, Aufwendungen des Landkreises, Fahrt- und Zeitaufwand der Verfahrensteilnehmer. Zur Bemessung des Nutzens wurde die ?contingent valuation method? der direkten Erfragung der Zahlungsbereitschaft für das Verfahren herangezogen. Dabei wurde nach den realen Möglichkeiten der jeweiligen Institutionen gefragt, um keine willkürlichen Angaben zu erhalten. Weiterhin kam für alle Personen die ?hypothetische Reisekostenmethode? und der ?hypothetische Stundenaufwand? der Befragten zum Einsatz. Dafür hatte ich diese indirekten Nutzenerhebungsmethoden zu direkten modifiziert. Das bedeutet, dass die maximale Anfahrts- und die maximale Zeitaufwandsbereitschaft direkt erfragt wurden. Auf diese Weise konnte die Differenz zwischen maximaler Zahlungsbereitschaft und den realen Kosten gebildet werden, woraus sich die ?Konsumentenrente? berechnet. Die Konsumentenrente beschreibt den Nutzen, den Menschen aus immateriellen Gütern ziehen (vgl. Kap. 6). Bei der Erhebung und der Auswertung der Befragungen ergaben sich massive Probleme. Die Summen der Zahlungsbereitschaft zeigten eine extrem hohe Spannbreite auf, welche keine eindeutige Interpretation zuließen. Die Fragen nach maximaler hypothetischer Anfahrt und maximalem hypothetischen Zeitaufwand wurden von den Befragten nicht angenommen. Ausweichende und willkürliche Antworten führten zu unbefriedigenden Resultaten. Angesichts dieser massiven methodischen Schwierigkeiten wurde darauf verzichtet, die Daten für eine Interpretation heranzuziehen. Es erschien mir aufrichtiger, dies als Grenzen der Quantifizierbarkeit zu akzeptieren anstatt mit unseriösen Zahlen zu operieren, die im höchsten Maße angreifbar sind. Stattdessen wurde auf die qualitative Form der Effizienzanalyse, der Kosten-Wirksamkeitsanalyse verwiesen, welche in Form einer Stärken-Schwächen-Analyse vorgenommen wurde (vgl. Kap. 7). Das empirische Material bietet keine Möglichkeit, die aufgestellten Hypothesen mit statistischen Verfahren zu testen. Stattdessen werden die Hypothesen diskursiv mit dem empirischen Material konfrontiert. Qualitative Vorgehensweisen arbeiten nicht hypothesentestend sondern hypothesengenerierend. In diesem Fall werden die Hypothesen kritisch diskutiert und für eine quantitative Überprüfung empfohlen, oder es wird eine Modifikation der Hypothesen mit Blick auf logische Unstimmigkeiten angeraten. Drei der sechs Hypothesen wurden mit Blick auf die empirischen Ergebnisse für weitere Untersuchungen empfohlen (?Stärkung von Selbstbewusstsein und Kommunikation?, ?Effizienterer Umgang mit externen Kosten? und ?Gerechtere Verteilung öffentlicher Ressourcen?). Zwei Hypothesen ließen sich mit den Daten nicht voll in Einklang bringen, so dass hier eine Modifikation für sinnvoll erachtet wird (?Geringere Verbändedemokratie? und ?Verringerung der Budgetmaximierung der Verwaltung?). Für die Hypothese, welche ?geringere Transaktionskosten für kooperative Verfahren? veranschlagte, konnte keine Aussagen getroffen werden, da die zeitliche Entwicklung der Umsetzung noch zu früh war. Aus der empirischen Evaluation und dem Diskurs der Ergebnisse mit den Theorien wurde eine Stärken-Schwächen-Analyse des REK auf Rügen formuliert. Es folgte die Suche nach theoretischen Begründungen für die Schwächen des Verfahrens. Interesse besteht darin, für die Praxis übertragbare Aussagen für andere kooperative Verfahren zu treffen. Sowohl die eigenen Ergebnisse als auch die Schlussfolgerungen aktueller Literatur münden in der Darstellung einer ?Infrastruktur? für kooperative Verfahren und ?Erfolgsfaktoren?. Dieses Modell erhebt den Anspruch, die wichtigsten Aspekte kooperativer Verfahren aufzugreifen und zu einer grundlegenden ?Infrastruktur? zusammenzuführen. Um Missstände bei laufenden kooperativen Verfahren frühzeitig zu diagnostizieren und gegenzusteuern, wurde ein prozessbegleitendes Evaluationsschema vorgeschlagen, welches die Kernprobleme kooperativer Vorgehensweisen in den Blick nimmt und vergleichsweise leicht einsetzbar ist. Mit diesen praktischen Hinweisen schließt die Arbeit.- Lichtenberg, T.: Kooperation in der Regionalplanung ? Effizienzanalyse des Regionalen Entwicklungskonzeptes der Insel Rügen. Dissertation. 2003. Berlin. ISBN 3-89820-479-0www.menschundbuch.de

Förderzeitraum:
01.05.2000 - 28.02.2003

Institut:
Humboldt-Universität zu Berlin
Geographisches Institut
Landschaftsökologie/Landschaftsforschung

Betreuer:
Prof. Dr. Ludwig Ellenberg

E-Mail: E-Mail schreiben