Veränderungen staatlichen Handelns in den 1970er Jahren. Wirtschafts- und umweltpolitische Entscheidungen am Beispiel der Flughafenerweiterungen in Frankfurt am Main und Stuttgart

Stipendiatin/Stipendiat: Sabine Dworog

Traditionell wurden Umweltprobleme mit Hilfe von technischen Optimierungen, durch Verhaltensänderungen auf der Grundlage von rechtlichen Vorschriften und ökonomischen Anreizen oder durch die räumliche Trennung von Verschmutzungsquelle und Betroffenen zu lösen versucht. Der normativen Grundsatzentscheidung, ob im Zweifelsfall eher der wirtschaftliche Wohlstand oder eine intakte Umwelt die gesellschaftlich zu maximierende Zielgröße sein sollte, wurde damit jedoch ausgewichen. Erst in jüngster Zeit regt die Leitlinie der Nachhaltigkeit zum Kompromiss zwischen ökologischen, sozialen und ökonomischen Zielen an, ohne jedoch bereits eine klare Richtschnur für gesamtgesellschaftlich kontroverse Entscheidungen zu bieten. Anhand der Flughafenerweiterungsdebatten in der Bundesrepublik seit 1945 geht das Dissertationsprojekt einer gesellschaftlichen Positionierung in diesem Zielkonflikt exemplarisch nach. Ziel der Arbeit ist es zum einen zu untersuchen, inwieweit sich mit dem gesellschaftlichen Normenverständnis auch das Verständnis von Staatsaufgaben veränderte und wie dies die Fähigkeit gesellschaftlicher Akteure beeinflusste, allgemein akzeptierte Entscheidungen herbeizuführen. Zum anderen soll die historische Dimension der Konflikte, insbesondere im Hinblick auf den Umweltdiskurs, ausgelotet werden. Dabei eignen sich Flughäfen als Untersuchungsgegenstand zum einen, weil sich die Kontroversen um ihren Ausbau im Rahmen der entstehenden Umweltbewegung abspielten. Interessant ist zum anderen ihre räumliche Dialektik: Im Funktionsmodus der Globalisierung tragen sie zur Raumüberwindung und Integration globaler Netzwerke bei, in der Region wirken sie durch Lärm und Landschaftszerstörung als permanente Störung. Dies stellt territorial strukturierte staatliche Einheiten vor die Schwierigkeit, zwischen den unterschiedlichen räumlichen Daseinsmodi, Bedürfnissen und Werthaltungen ihrer Staatsbürger zu vermitteln. Anhand einer breiten Auswahl von schriftlichen Quellen werden diese Hypothesen überprüft und präzisiert. Die empirische Fallstudie konzentriert sich auf das Beispiel des Frankfurter Flughafens, der seit der Einführung der Düsenflugzeuge in den späten fünfziger Jahren stetig erweitert wurde. Den Kern der Ausbaubemühungen bildete das Projekt einer dritten Startbahn, die mit vier Kilometern Länge und 45 Metern Breite in nahezu rechtem Winkel zu den bestehenden beiden Parallelbahnen in ein bis dahin geschlossenes Waldgebiet hineinragen sollte. In den späten fünfziger Jahren erstmals angedacht, 1966 luftverkehrsrechtlich genehmigt und 1971 planfestgestellt, überdauerte das Projekt die konjunkturschwachen siebziger Jahre in langwierigen Auseinandersetzungen vor Gericht, bevor es im Herbst 1981 ausgerechnet zur Zeit einer konjunkturellen Schwäche des globalen Luftverkehrs verwirklicht wurde. Heftige Proteste aus den umliegenden Kommunen und der Bevölkerung in der Nachbarschaft des Flughafens, die vor allem eine weitere Zunahme des ohnehin schon als unerträglich empfundenen Fluglärms befürchteten, hatten das Projekt von Anfang an begleitet. Als sich Ende der siebziger Jahre die gerichtliche Niederlage der Startbahngegner abzeichnete, gewannen die Proteste jedoch an Schärfe; anlässlich des Baubeginns kam es zu heftigen und zum Teil blutigen Auseinandersetzungen zwischen Startbahngegnern und Polizei. Vor dem Hintergrund der beginnenden gesellschaftlichen Reflexion über ökologische Zusammenhänge während der siebziger Jahre war eine Startbahn, die von den Planern ursprünglich als der beste aller Kompromisse insbesondere im Hinblick auf die geringst mögliche Lärmbelastung der Anwohner konzipiert worden war, zum Symbol geworden für die Verbauung des regionalen Lebensraumes und das Geltungsbedürfnis eines bürgerfernen Machtstaates. Die Dissertation ordnet die Ereignisse und Diskurse aus dem Planungsverfahren in den Kontext der regionalen Entwicklung, der globalen Luftverkehrsentwicklung sowie der Bundesverkehrspolitik ein. Damit strebt die Arbeit ein umfassenderes Verständnis der Flughafenkonflikte an als ein engerer Fokus auf die offene Auseinandersetzung an der Startbahn erlauben würde. Methodisch nimmt die Arbeit damit einen Spagat zwischen Mikro- und Makrogeschichte vor. Da sich die siebziger Jahre als Zeit beginnender Strukturbrüche abzeichnen, knüpft die Arbeit außerdem an aktuelle geschichts- und sozialwissenschaftliche Debatten über die siebziger Jahre als Umbruchsphase der Moderne an.

Förderzeitraum:
01.07.2004 - 31.08.2007

Institut:
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Historisches Institut

Betreuer:
Prof. Dr. Dirk van Laak

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