Habitatanforderungen und Ausbreitungslimitierung für die in Mitteleuropa vom Aussterben bedrohte Art Cerambyx cerdo (Coleoptera, Cerambycidae)

Stipendiatin/Stipendiat: Dr. Jörn Buse

Der Heldbock (Cerambyx cerdo L.) ist in Mitteleuropa eine vom Aussterben bedrohte Bockkäferart. Fraglich war, welche genauen Bedingungen die Art zur Existenz benötigt und welche Eigenschaften Habitate aufweisen müssen, um ein längerfristiges Überleben des Heldbocks zu sichern. Ebenso ist sehr wenig bekannt über das Bewegungsverhalten im Lebensraum bzw. über die Möglichkeiten einer Ausbreitung über längere Distanzen. Der Heldbock ist als Altholzbesiedler ein Repräsentant eines an Struktur und Mikroklimaten reichen Lebensraumes. Durch die Erfassung weiterer xylobionter Käferarten soll die Eignung des Heldbockes als Schirmart analysiert werden.Die Ergebnisse dieses Vorhabens schaffen die Vorraussetzung für einen effektiven und effizienten Natur- und Artenschutz. Cerambyx cerdo ist eine europa- und weltweit geschützte Art (vgl. FFH-Richtlinie; Washingtoner Artenschutzabkommen). Für den Erhalt der in Mitteleuropa beheimateten Unterart C. cerdo cerdo und für das Überleben der Art insgesamt trägt Deutschland eine große Verantwortung. FazitMit Hilfe der durchgeführten Studien konnten ökologische Schlüsselfaktoren für die vom Aussterben bedrohte Bockkäferart Cerambyx cerdo identifiziert und erstmals quantifiziert werden. Diese Faktoren zeigen die enge Habitatbindung der untersuchten Art und erweitern die bisherigen Kenntnisse über die Biologie der FFH-Art. Es konnte gezeigt werden, dass dieser Bockkäfer vor allem ältere, besonnte Eichen mit Saftfluss besiedelt. Erst ein Mindestdurchmesser von 60 cm erhöht die Vorkommenswahrscheinlichkeit signifikant. Strukturell zur Besiedlung geeignete Habitate müssen sich allerdings auch in relativer räumlicher Nähe zu anderen, bereits besiedelten Bäumen befinden. Das verdeutlicht das geringe Ausbreitungspotential der Art. Erstmals untersucht zeigte sich auch, dass von C. cerdo besiedelte Eichen artenreicher sind als andere vergleichbare Eichen. Seine wahrscheinliche Rolle als Ökosystementwickler und der mit ihm assoziierte Artenreichtum unterstreicht seine europaweite Bedeutung für den Schutz der xylobionten Käferfauna. Das bestätigt die bisher ohne entsprechende Untersuchung seiner ökologischen Rolle getroffene Einordnung als "FFH-Art".Verschiedene Managementansätze zum Erhalt der Art werden diskutiert. Durch die Freistellung einzelner Bäume oder Waldbereiche in unmittelbarer Nachbarschaft zu besiedelten Eichen können bestehende Populationen gezielt gefördert werden. In Anbetracht des schwachen Ausbreitungspotentials der Art empfehlen sich auch Wiederansiedlungen in weiter entfernten Gebieten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es eine genügend große Anzahl von Eichen in verschiedenen Altersklassen gibt, um eine langfristige Populationsentwicklung und -etablierung zu gewährleisten. Um der Knappheit potentiell besiedelbarer Habitate in Zukunft vorzubeugen, sollten Anpflanzungen von Solitäreichen vorgenommen werden, zumal diese Bäume eine artenreiche xylobionte Gemeinschaft aufgrund ihrer speziellen Lage beherbergen. Langfristig gesehen bieten wahrscheinlich durch Beweidung gepflegte, großräumig halboffene Landschaften die besten Bedingungen für den Schutz von C. cerdo und für die Erhaltung einer artenreichen xylobionten Insektenfauna. Isolierte Solitärbäume beherbergen eine vergleichbare, z.T. sogar höhere Artenvielfalt als Bäume im geschlossenen Bestand. Die Artenvielfalt wird weitgehend von ökologischen Habitatparametern bestimmt. Fragmentierungsparameter spielen eine untergeordnete Rolle. Trotzdem findet sich an Solitärbäumen eine andere Zusammensetzung der xylobionten Fauna, wobei höhere trophische Gilden, z.B. räuberisch lebende Käfer, von einer Fragmentierung ihrer Habitate negativ beeinflusst werden. Grundsätzlich wird angenommen, dass Eigenschaften wie Flugfähigkeit, Körpergröße und Habitatbindung die Sensibilität von Arten gegenüber der Fragmentierung ihrer Habitate beeinflussen. Im Rahmen dieser Arbeit konnte gezeigt werden, dass auch der trophische Rang innerhalb der xylobionten Gemeinschaft die Sensibilität einer Art für Fragmentierung bedingt. Für tropische Waldfragmente konnte gezeigt werden, dass epigäisch lebende Räuber ebenfalls stärker von Fragmentierung betroffen sind als andere epigäisch lebende Arten (Didham et al. 1998). Bisherige Untersuchungen bei Invertebraten analysierten vorwiegend bodenbewohnende Käfer (Didham et al. 1998, Davies et al. 2000). Bei der Gemeinschaft xylobionter Käfer konnte die Rolle von Fragmentierung erstmals in dieser Arbeit analysiert werden. Die Ergebnisse unterstützen die sogenannte "trophic rank-hypothesis" (Holt et al. 1999), nach der vor allem Arten aus höheren trophischen Ebenen von Veränderungen der Flächengröße (und eventuell der Isolation) betroffen sind. Solitäreichen, insbesondere alte Exemplare, haben einen hohen naturschutzfachlichen Wert für xylobionte Käfer und andere Tiergruppen, da diese Eichen sich in wichtigen physiologischen Parametern von anderen Eichen unterscheiden. In mediterranen Gebieten beherbergen alte Eichen eine Vielzahl von holzbewohnenden Käferarten. Neben Alteichen sind vom Menschen genutzte Schneitelwälder ein guter Ansatz für die Erhaltung von Biodiversität im mediterranen Raum.Zukünftige Managementansätze sollten auf ein enges räumliches Nebeneinander von geschlossenen Beständen und Solitärbäumen zielen. Das Konzept der halboffenen Weidelandschaft bietet dafür eine mögliche Grundlage.

Förderzeitraum:
01.06.2005 - 31.05.2008

Institut:
Universität Lüneburg
Institut für Ökologie und Umweltchemie
Fachbereich Umweltwissenschaften

Betreuer:
Prof. Dr. Thorsten Aßmann

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