Die möglichen Auswirkungen klimabedingter Naturkatastrophen auf innerstaatliche Flüchtlingsströme und das Potenzial dieser Klimaflüchtlinge, gewaltsame Konflikte in den Zielregionen auszulösen oder zu verschärfen

Stipendiatin/Stipendiat: Dr. Andreas Bernath

Kann der globale Klimawandel gewaltsame Konflikte zwischen und innerhalb von Staaten auslösen oder verschärfen und somit eine Bedrohung für internationalen Frieden und Sicher-heit darstellen? In vielen Modellen über den Zusammenhang von Umweltveränderungen und gewaltsamen Konflikten werden umweltinduzierte Bevölkerungsbewegungen als eine Zwi-schenvariable aufgefasst, welche Umweltveränderungen und Konflikte miteinander verknüpft. Diese Dissertation konzentriert sich auf eine bestimmte Form von Bevölkerungsbewegungen, die aufgrund der Klimaerwärmung vor allem in den kommenden Jahrzehnten häufiger und stärker in Erscheinung treten wird: die durch Sturm- und Flutkatastrophen ausgelöste Vertreibung. Daher lautet die Forschungsfrage:
Kann die Ankunft von Menschen, die durch Sturm- und Flutkatastrophen vertrieben wurden, die Gefahr der Entstehung oder Verschärfung von gewaltsamen Konflikten in den Aufnahmegebieten erhöhen und wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Die theoretische Grundlage bildet die Konfliktkonstellation des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderung (WBGU) über Umweltmigration. Darin gehen die Forscher der Frage nach, über welche Mechanismen Umweltmigration – ausgelöst u.a. durch Sturm- und Flutkatastrophen – gewaltsame Konflikte verursachen oder verschärfen kann. Der WBGU identifiziert hierbei sechs mögliche Kausalpfade: (i) Ressourcenverfügbar-keit/Demographie (ii) Ethnizität (iii) Diaspora/Migrationsnetzwerke (iv) Reaktion der Regie-rung des Ziellandes/der Zielregion (v) Governance-Kapazitäten (vi) politische Stabilität. Das Forschungsziel besteht darin, diesen Erklärungsansatz des WBGU mittels einer Qualitative Comparative Analysis (QCA) sowie einer Fallstudienanalyse empirisch zu überprüfen.

Die Ergebnisse der QCA-Analyse unterstützen das WBGU-Modell nicht. Sie liefern lediglich vorsichtige Hinweise darauf, dass ethnische Spannungen, geringe Governance-Kapazitäten sowie ein politisch instabiles Umfeld eine Rolle bei der Verschärfung von gewaltsamen Kon-flikten in den Aufnahmeregionen von Umweltvertriebenen spielen.

Die Fallstudie konzentriert sich auf den Tropensturm Sendong, der Ende 2011 im Nordwesten der südlichen Inselgruppe Mindanao auf den Philippinen große Verwüstung angerichtet hat. Die mit Sendong einhergehenden Sturzfluten forderten mehr als 1 000 Todesopfer und ver-trieben über 400 000 Menschen, welche zum Teil in Evakuierungs- und Übergangslagern Zu-flucht suchten. Im Zuge der Feldforschung wurden Gespräche (leitfadengestützte Expertenin-terviews und Gruppeninterviews) sowohl mit zahlreichen Vertretern der humanitären Ge-meinschaft (u.a. GIZ, NGOs, UN) und der Regierungsbehörden geführt als auch mit den Umweltvertriebenen. Auf der Basis dieser Interviews und der Dokumentenanalyse können folgende, vorläufige, Ergebnisse festgehalten werden: Einerseits sind die Bedingungen des WBGU-Modells in den untersuchten Aufnahmeregionen weitgehend vorhanden. So sind sie zum Teil geprägt von u.a. Ressourcenmangel, religiösen/ethnischen Spannungen, überlasteten Governance-Kapazitäten und politischer Instabilität. Andererseits führt die Ankunft von Um-weltvertriebenen zwar durchaus zu zahlreichen Spannungen und Konflikten in den Aufnah-megebieten, letztlich eskalieren diese aber nicht gewaltsam – etwa in Form von Ausschreitun-gen oder bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen organisierten Gruppen. Vielmehr hat man es mit nicht-gewaltsamen Konflikten (z.B. über die Verteilung und den Zugang von Res-sourcen) sowie inter-personeller Gewalt (Kriminalität, Mord) und häuslicher Gewalt zu tun. Im Falle von Sendong hat vornehmlich die starke und schnelle Präsenz der humanitären Ge-meinschaft, das gute Camp-Management und die Berücksichtigung der Interessen der Auf-nahmeregionen eine Eskalation hin zu Gewaltkonflikten verhindert.

Zusammenfassend ist also festzuhalten: Das WBGU-Modell kann weder von der QCA-Analyse noch von der Fallstudie bestätigt werden. Umweltbedingte Bevölkerungsbewegungen im Kontext des Klimawandels sind somit weniger ein Sicherheits-, sondern vielmehr ein Entwicklungsproblem.

Förderzeitraum:
01.06.2010 - 31.05.2013

Institut:
Universität Hamburg
Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik

Betreuer:
Prof. Dr. Michael Brzoska

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