Vergleichende Untersuchung der Implementation von europäischen Regelungen zur Energieverbrauchsinformation (Gebäudeenergieausweis, Energieverbrauchskennzeichnung von Produkten, Energieaudit in Unternehmen) im deutschen Föderalismus

Stipendiatin/Stipendiat: Tatjana Ruhl

Die Untersuchung möchte einerseits einen Beitrag zur europäischen Implementationsforschung leisten, andererseits dabei helfen zu verstehen, vor welchen praktischen Herausforderungen die Umsetzung von Energieeffizienzpolitik als Teil der Klimapolitik speziell in Deutschland steht. Die Energieeffizienzpolitik hat in den vergangenen Jahrzehnten eine deutliche Intensivierung und Europäisierung erlebt. Gleichzeitig gilt sie als „No-Regret-Option“ zur Erreichung des energiepolitischen Zieldreiecks. In Deutschland trifft Energieeffizienzpolitik bei ihrer rechtlichen und praktischen Umsetzung spätestens seit der Energiewende auf kongruente nationale Zielsetzungen, gleichzeitig aber auch auf erhebliche vertikale und horizontale Verflechtungen: Der Föderalismus und die quer zu den klassischen Ressorts angesiedelte Thematik bergen deutliche organisatorische Herausforderungen.

Diese Ausgangsvoraussetzungen machten die Thematik zu einem idealtypischen Fall, um die in der EU-Implementationsforschung vertretene Goodness-of-Fit-These zu untersuchen: Bei Kongruenz mit den politischen Zielsetzungen und gleichzeitig starker Verflechtungsproblematik und teilweise gegenläufigen Traditionen, war davon auszugehen, dass auftretende Probleme besonders klar einem institutionellen Misfit zugeschrieben werden können. Deutschland hätte dann einfach keine ausreichenden Fähigkeiten, um Energieeffizienzpolitik schnell oder besonders gut zu implementieren. Um weitere politische Störfaktoren auszuschalten, wurde ein Set von verhältnismäßig unpolitischen Informationsinstrumenten gewählt. Die Arbeit vergleicht die Implementation von Stichprobenkontrollen zu Energieaudits für Unternehmen, Energieausweisen für Gebäude und Energielabels für Produkte. Sie konzentriert sich dabei auf die um 2010 auf europäischer Ebene erlassenen Regelungen, ohne den Blick für die Gesamtentwicklung zu verlieren.

Die Fälle wurden mit einem Mix an Analysemethoden untersucht, deren Kern eine Prozessanalyse und eine Analyse der Entscheidungssituation, also der Lösungsoptionen, bildet. Dafür wurden umfangreiche Expterninterviews geführt und Rechts- und Verwaltungsdokumente ausgewertet, um die Fälle möglichst exakt abbilden zu können. Da in der EU-Implementationsforschung keine einheitliche Theorie existiert, wurden die Daten mit einem breit angelegten Modell analysiert, dass Fähigkeiten, Motivation und hierarchischen Druck als Wirkfaktoren berücksichtigen kann. Das Modell beruht im Wesentlichen auf den Annahmen des akteurzentrierten Institutionalismus und der Theory of Fields.

Trotz der beschriebenen Herausforderungen durch den Föderalismus und die Querschnittsthematik war der Implementationserfolg der betrachteten europäischen Energieeffizienzregelungen in zwei von drei Fällen überraschend gut. Das ließ sich aber nur am Rande auf die Kongruenz mit der deutschen Energiewende zurückführen. Notwendig erschien vielmehr, dass mit einer gründlichen Implementation den Interessen der Wirtschaft gedient war. Energie- oder klimapolitische Erwägungen waren im besten Fall zweitrangig. Verschiebungen auf Bundesebene, die durch die Energiewende und europäische Energieeffizienzpolitik bedingt waren, verschafften den Implementierern aber teilweise bessere Voraussetzungen. Dies stützt insgesamt den zweiten großen Strang der EU-Implementationsforschung, nämlich die These der Domestic Politics.Die Bedienung von Wirtschaftsinteressen schien aber auch nicht hinreichend für eine gute Implementation zu sein. Die richtige Art und Menge an hierarchischem Druck durch die EU-Ebene, also Varianten der Europäisierung, musste hinzukommen. Dabei erwiesen sich klare Regeln als notwendige Trigger und regelmäßige Berichtspflichten als effektiver im Vergleich zu Vertragsverletzungsverfahren. Gerade unter diesem Aspekt lohnt sich ein Blick in die einzelnen, doch sehr unterschiedlich gelagerten Fälle.Die Herausforderungen, auf die europäische Energieeffizienzpolitik bei ihrer Umsetzung in Deutschland trifft, sind also grundsätzlich überwindbar. Die Implementierer waren teilweise sehr kreativ, um entweder drohendem Druck auszuweichen oder politische Interessen zu bedienen.

Implementationstheoretisch liefert die Arbeit also im Ergebnis eine deutliche Stützung der Domestic-Politics-These. Als energie- und klimapolitische Implikation bleibt angesichts der strukturellen politischen Stärke insbesondere großer Unternehmen vor allem die Empfehlung, wirtschaftspolitische Framingmöglichkeiten zu nutzen, was häufig möglich ist. Wo ein wirtschaftspolitisches Framing nicht möglich ist, hat der einzelne Staat derzeit in der Implementation nur eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten. Das trifft besonders auf Deutschland zu, wobei sich die grundlegenden strukturellen Gegebenheiten in allen demokratischen Industrieländern finden lassen sollten.

Förderzeitraum:
01.01.2018 - 31.12.2019

Institut:
Freie Universität Berlin
Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft

Betreuer:
Prof. Dr. Thurid Hustedt

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Publikationen: