Kann sich Deutschland biodivers ernähren? Eine quantitative Potentialuntersuchung der Biodiversitätsauswirkungen von Mahlzeiten in der Außer-Haus-Gastronomie

Stipendiatin/Stipendiat: Julia Heinz

Die globale Lebensmittelproduktion hat einen entscheidenden Einfluss auf die ökologischen Systeme, den Klimawandel und die Überschreitung der planetaren Grenzen. Eine intensive Landwirtschaft nimmt hier entscheidenden Einfluss. Sie kann für bis zu 70 % des prognostizierten Verlusts der terrestrischen Biodiversität verantwortlich gemacht werden (CBD 2014). Doch welchen Einfluss das einzelne Agrarprodukt bzw. Lebensmittel hat, lässt sich bis heute nicht eindeutig nachvollziehen. Bislang hat sich noch keine wissenschaftlich-basierte Indikatorik, welche die Biodiversitätsauswirkungen quantifiziert, etablieren können. Nicht für einzelne Lebensmittel, aber auch nicht für Speisen in Verpflegungseinrichtungen der Außer-Haus-Gastronomie (AHG), den zweitwichtigsten Absatzzweig der deutschen Ernährungsindustrie neben dem Lebensmitteleinzelhandel mit einem Umsatzvolumen von 82,8 Milliarden Euro pro Jahr (BVE 2020).

Das übergeordnete Ziel des Dissertationsvorhabens ist es deshalb, die Biodiversitätsauswirkungen der Speisen der AHG zu quantifizieren und Akteure der AHG zu befähigen, biodiverse Speisen zu produzieren und anzubieten. Dies soll in enger Interaktion mit Praxisakteuren (Co-Creation) umgesetzt werden. Grundlage dafür bildet die Entwicklung eines wissenschaftlichen Instrumentes, welches die Auswirkungen von Speisen auf alle Ebenen der Biodiversität (Artenvielfalt, genetische Vielfalt, Vielfalt der Ökosysteme) für die Vollverpflegung quantifiziert. Der Biodiversitätsindex basiert dabei auf einem Multi-Indikatoren-Ansatz und bindet Daten der Ökobilanzierung bzw. neu-erstellter Wertschöpfungskettenanalysen ein.

Wissenschaftliches Neuland wird ebenfalls durch die Fokussierung der Vollverpflegung betreten, denn bislang orientieren sich die existenten Ansätze zur Nachhaltigkeitsbewertung vorrangig an der Mittagsverpflegung. In Co-Creation-Prozessen werden die Praxispartner in den Großküchen in die Entwicklung des Bewertungsinstrumentes eingebunden und es werden gemeinsam weiterführende Chancen und Hemmnisse, z.B. Veränderungen in Beschaffungsstrukturen identifiziert. Auf Basis dieser Ergebnisse wird ein Leitfaden für eine biodiverse AHG entwickelt und im Rahmen einer bundesweiten Workshopreihe mit der Praxis diskutiert, evaluiert und optimiert. Aus diesen Workshops sowie den zuvor identifizierten Hemmnissen heraus wird außerdem ein Policypaper entwickelt, denn: es ist davon auszugehen, dass die Praxisakteure teilweise nicht die Rahmenbedingungen auffinden, biodiverse Speisen überhaupt herzustellen. Die Erkenntnisse werden als wissenschaftliche und richtungssichere Handlungsempfehlungen für die Praxis, für Bürgerinnen und Bürger sowie die Politik aufgearbeitet. So wird abschließend die Ausgangsfrage beantwortet: Wie biodivers kann sich Deutschland außer Haus ernähren?

Erste Ergebnisse auf Grundlage der Literaturrecherche sowie Expert:innen Interviews zeigen, dass eine Quantifizierung von Biodiversitätsauswirkungen der Speisen mittels Ökobilanzierung erfolgen sollte. Bewertungsansätze für den Biodiversitätsindex stellen zum einen Species-Area-Relationship (SAR)-Modelle dar, welche den potenziellen Artenverlust pro Landnutzungsaktivität, Ökoregion und taxonomischer Gruppe bewerten (Chaudhary 2015). Hier konnte bereits ein Excel-basiertes Bewertungsschema für Rezepturen erstellt werden. Die Bewertung bezieht sich auf die Mengenangaben für eine Menü-Portion (Erwachsene). Dieses Tool kann Praxispartnern zur eigenen Bewertung von Speisen zur Verfügung gestellt werden und wird im weiteren Verlauf getestet. Zum anderen kann eine Bewertung unter Einbezug der Land-Use-Intensity mittels der Hemerobiestufen erfolgen. Die Methode bewertet die Qualität der für die Erzeugung der Lebensmittel genutzten Flächen und vergleicht sie mit der Qualität der ursprünglich auf der Fläche vorhandenen natürlichen Vegetation. Berücksichtigte Faktoren sind hierbei die Flächenzeit (Bedarf und Zeit), die Hemerobiestufe und die Ökoregion (Lindner et al. 2019). 

Weiterhin erfolgte eine erste Recherche sowie Kontaktaufnahmen zu möglichen Praxispartnern, hier konnte eine feste Partnerschaft mit einem Gastronomiebetrieb mit mehreren Verpflegungseinrichtungen geschlossen werden. 

 

Förderzeitraum:
01.12.2021 - 30.11.2024

Institut:
Technische Universität Berlin Institut für Berufliche Bildung und Arbeitslehre

Betreuer:
Prof. Dr. Nina Langen

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