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DBU aktuell Nr. 6 | 2015 Mailen Drucken

Informationen aus der Fördertätigkeit der Deutschen Bundesstiftung Umwelt
2.) DBU-Sommerakademie: Ein einheitliches Bewertungssystem für Nachhaltigkeit gibt es nicht
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DBU-Kuratoriumsvorsitzende Rita Schwarzelühr-Sutter und DBU-Generalsekretär Dr. Heinrich Bottermann eröffneten die 21. Internationale Sommerakademie in St. Marienthal.
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Rund 180 Teilnehmer und Fachleute beleuchteten während der diesjährigen DBU-Sommerakademie in St. Marien­thal drei Tage lang aus unterschiedlichsten Blickwinkeln das Thema Nachhaltigkeitsbewertung. Am ersten und letzten Tagungstag standen Vorträge mit übergeordneter Themenstellung auf dem Programm. Am zweiten Tag wurden die einzelnen Felder Finanzsektor, Bioraffinerien, Baupraxis sowie Bildung und Kommunikation vertieft in vier parallel stattfindenden Arbeitskreisen behandelt.

Rita Schwarzelühr-Sutter, Parlamentarische Staatssekretärin im BMUB und DBU Kuratoriumsvorsitzende, skizzierte eingangs der Tagung die Nachhaltig­keitsstrategie der Bundesregierung. Ziel sei es, die Decarbonisierung der Wirtschaft bis Ende des Jahrhunderts in allen Branchen und weltweit verwirklicht zu haben, sagte sie. Allein für diesen Prozess stelle die Bundesrepublik 10 Mrd. US-Dollar zur Verfügung. Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung gelte im Übrigen für sämtliche Ressorts und Felder von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Von besonderer Wichtigkeit sei es, die Zivilgesellschaft an dieser Entwicklung zu beteiligen, gerade um strittige Themen wie die Suffizienzfrage zu klären und den Rebound-Effekt möglichst auszuschalten. Nach Ansicht der Parlamentarischen Staatssekretärin gehört zur Nachhaltigkeit auch, über Produktions- und Konsummuster gleichermaßen nachzudenken: Der Hersteller bestimmt das Angebot, der Verbraucher die Nachfrage. Beide können und müssen ihren Beitrag in Sachen Nachhaltigkeit leisten. Schwarzelühr-Sutter bekräftigte in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit, sich international für die Post-2015-Agenda zu engagieren und sich auf Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals) zu verständigen. Als Chance dafür nannte sie die internationalen Konferenzen in diesem Jahr in New York zur Verabschiedung der Nachhaltigkeitsziele sowie in Paris zur UN-Klimakonferenz.

Prof. Dr. Dr. Franz-Josef Radermacher betonte in seinem Vortrag, dass sich die weltweiten Nachhaltigkeitsdefizite nur über eine Global Governance lösen ließen. Dazu müsste ein Geldfluss in Form einer Querfinanzierung von reichen zu armen Staaten von statten gehen.

Nach Darstellung von Prof. Dr. Matthias Finkbeiner gehe es im Kontext von Nachhaltigkeitsmethoden und -indikatoren zunächst darum, Einigkeit über die Schutzziele zu erlangen. Die Ökologie-Säule sei hier vergleichsweise weit entwickelt, die soziale Dimension hingegen stelle noch eine Herausforderung dar, völlig unklar seien Schutzziele bezüglich ökonomischer Fragestellungen. Sind die Schutzziele definiert, gelte es, wissenschaftlich robuste Methoden und Indikatoren zu entwickeln, die in einem belegbaren Wirkungsmechanismus in Bezug zu den Schutzzielen stehen. Eine möglichst faktenbasierte Bewertung von Nachhaltigkeit in globalen und heterogenen Wertschöpfungsnetzen sei eine komplexe Aufgabe, so Finkbeiner. Wissenschaftlich robuste Methoden bildeten diese Komplexität und Variabilität ab. Sie seien deshalb selbst nicht trivial und führten eher selten zu einfachen (manchmal auch politisch »unkorrekten«) Ergebnissen. Selbstverpflichtende Nachhaltigkeitsinitiativen stellten nach Finkbeiners Darstellungen eine Alternative zur aktuellen Schwäche der Global Governance dar.

Prof. Dr. Rainer Grießhammer, Träger des Deutschen Umweltpreises im Jahr 2010, hob die Wichtigkeit des Aspektes »Nutzen« in der Nachhaltigkeitsbewertung vor. Mit PROSA stellte er eine inzwischen etablierte Methode der Produkt-Nachhaltigkeits­bewertung vor, die vom Öko-Institut entwickelt wurde (siehe hier). Um Transformationen und Systeminnovationen wie die nachhaltige Entwicklung zu implementieren, sind seiner Ansicht nach die folgenden Aspekte zu berücksichtigen: Werte und Leitbilder, Verhalten und Lebensstile, Forschung/Bildung/Wissen, Politikinstrumente und Institutionen, Märkte, Technologien und Produkte, soziale und zeitliche Strukturen sowie materielle Infrastrukturen. Am Beispiel der System-Innovation Fahrradverkehr zeigte er auf, wie unterschiedlich und teilweise unzureichend diese Aspekte beachtet wurden. Den Durchbruch des E-Bikes beispielsweise hätte es bereits vor 15 oder 20 Jahren geben können, wären alle oben genannten Teilsysteme berücksichtigt worden, so Grieß­hammer.

Ethische Grundlegung nachhaltigen Handelns
Abgerundet wurde der Eröffnungstag durch ein Grußwort des sächsischen Umweltministers Thomas Schmidt. Dr. Henning Friege wies eingangs seines Vortrags auf die ethische Grundlegung allen nachhaltigen Handelns hin. In seinen Ausführungen benannte er sinnvolle Einzelschritte auf dem langen Weg in eine nachhaltige Welt. Dazu gehörten: Politische Prioritäten, die aus den Sustainable Development Goals abgeleitet sowie international verbindlich und sanktionierbar gemacht werden sollten. Die nationalen Nachhaltigkeitsstrategien sollten dazu überarbeitet und europäisch abgesichert werden. Einzelheiten der Umweltbewertung bei der Vergabe des Blauen Engels referierte Dr.Hans-Hermann Eggers vom Umweltbundesamt (siehe www.blauer-engel.de). Mit einem Bekanntheitsgrad von 92 % gehöre dieses Umweltsiegel, das inzwischen rund 12 000 Produkte in 120 Produktgruppen kennzeichnet, anerkanntermaßen zu den am weitesten verbreiteten und glaubwürdigsten Labeln in Deutschland überhaupt.

In der Abschlussdiskussion zog DBU-Generalsekretär Dr. Heinrich Bottermann ein Fazit der Tagung. Er sagte, der Terminus »Nachhaltigkeit« sei durch teilweise inflationären Gebrauch beinahe zu einem Schimpfwort geworden, was sehr zu bedauern sei. Um Nachhaltigkeit weiter zu stärken, müssten Sachverhalte objektiviert, Konflikte versachlicht und die Messbarkeit vorangetrieben werden, damit mehr operationalisiert werden könne. Die Veranstaltung habe gezeigt, dass es kein einheitliches System für die unterschiedlichen Fragestellungen von Nachhaltigkeit in den verschiedenen Fachdisziplinen gebe. Also müssten Rahmenbedingungen geschaffen werden, in denen sich Nachhaltigkeitskriterien entwickeln könnten. Noch weitgehend offen sei, ob und wodurch die klassischen Nachhaltigkeitskriterien Ökonomie, Ökologie und Soziales ergänzt werden müssten. Um Halt, Orientierung und Kontinuität zu erreichen, bedürfe es einer ethischen Verankerung des Handelns. Zentral für die weitere Nachhaltigkeitsentwicklung werde die Umsetzung der 17 weltweiten Sustainable Development Goals sein. Dies gelte vor allem hinsichtlich Methodik, Zielen und der Vermittlung an den Verbraucher.

Nachhaltigkeitsbewertung bei Bioraffinerien
•    Die Nutzung nachwachsender Rohstoffe spielt eine zentrale Rolle bei der nachhaltigen Entwicklung. Bioraffinerien wandeln Biomasse zu Chemikalien, Werkstoffen, Kraftstoffen und Energie um und können so einen wichtigen Beitrag leisten.
•    Verschiedene Bioraffineriekonzepte werden derzeit intensiv beforscht. Sie weisen unterschiedliche Reifegrade (technical readiness level) auf, was bei Nachhaltigkeitsbewertungen die Anwendung unterschiedlicher Methoden erfordert.
•    Bei der Bewertung von Bioraffineriekonzepten können die Erfahrungen aus dem Bio-Energiemarkt genutzt werden. Jedoch weisen Bioraffinerien eine größere Vielfalt an Rohstoffen und Produkten auf. Häufig fehlen geeignete Referenzsysteme oder es sind keine Daten zu den fossilen Referenzen verfügbar.
•    Nachhaltigkeitszertifikate können einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung bei biobasierten Produkten leisten. Dabei ist hinsichtlich der Rohstoffe ein kontinuierliches Monitoring erforderlich, um z. B. Landnutzungsänderungen zu erkennen.

Nachhaltigkeitsbewertung im Finanzsektor
•    Nachhaltige Kapitalanlagen weisen gegenüber konventionellen Investments keinen systematischen Renditenachteil auf. Die Nachhaltigkeitsperformance wird von Investoren zunehmend als ökonomischer Erfolgsfaktor mit positivem Einfluss auf das Rendite-Risiko-Verhältnis bei der Anlageentscheidung berücksichtigt.
•    Nachhaltigkeitsratings von unabhängigen Research- und Ratingagenturen und hieraus abgeleitete Indizes sind geeignet, die Anlageentscheidung nachhaltig orientierter Investoren zu unterstützen. Voraussetzung hierfür sind transparente Rating- und Auswahl­prozesse.
•    Aufgrund der steigenden Bedeutung positiver Nachhaltigkeitsratings für den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen haben Umfang und Qualität der Umwelt- und Nachhaltigkeitsberichterstattung in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen.
•    Eine stärker an Wirkungszielen orientierte Unternehmenssteuerung wird von vielen Non-Profit-Organisationen als sinnvoll und qualitätssteigernd angesehen. Insbesondere für operative Steuerungsprozesse fehlen allerdings praxisnahe qualitative Managementinstrumente, die oftmals individuell zu entwickeln sind.

Nachhaltigkeitsbewertung im Bauwesen
•    Vorhandene Instrumente zur Nachhaltigkeitsbewertung für verschiedene Gebäudetypen müssen verbessert und praktikabler gemacht werden.
•    Branchenbezogene freiwillige Vereinbarungen über gemeinsame Kriterien zur Nachhaltigkeit im Bauwesen können die Sensibilität und Akzeptanz bei allen Beteiligten erhöhen.
•    Information, Aufklärung und Weiterbildung/-qualifikation über Nachhaltigkeit beim Bauen und Sanieren ist zwingend geboten, da der aktuelle Kenntnisstand ein enormes Hindernis für mehr Nachhaltigkeit im Bauwesen ist.
•    Zukunftsfähiges Bauen und Sanieren ist hochkomplex, praktikable und transparente Systeme zur Nachhaltigkeitsbewertung sollten helfen, die Komplexität zu reduzieren.

Nachhaltigkeitsbewertung in Bildung und Kommunikation
•    Aufgrund der Komplexität umweltbezogener Bildungs­aufgaben und der Heterogenität entsprechender Handlungsfelder sind messbare quantitative Kriterien für Bildungsmaßnahmen nur sehr eingeschränkt zu bestimmen. Ein einheitliches Instrumentarium zur Nachhaltigkeitsbewertung im Bereich der Umweltkommunikation steht nicht zur Verfügung.
•    Öko-Label können eine Orientierung bei Alltagsentscheidungen bieten, sofern Herkunft, Kriterien und Bewertungen für den Nutzer transparent sind. Angebote wie Label-online oder Siegelklarheit können einen ersten Überblick vermitteln.
•    Der Stärkung von Bewertungs- und Gestaltungskompetenzen kommt im Umweltbildungsbereich entlang des gesamten Lebensweges eine besondere Bedeutung zu. Mit entsprechenden Bildungsmaßnahmen ist früh zu beginnen, sie sind zielgruppenspezifisch zu entwickeln und müssen auch niederschwellige Ansprache­wege und Vermittlungsinstrumente umfassen. Im Bereich von »Green Meetings« liegen bereits gute Erfahrungen vor.
•    Eine Schlüsselrolle bei der Vermittlung von Bewertungskompetenzen nehmen Multiplikatoren wie Lehrkräfte ein. Neu zu entwickelnde Qualifizierungsmaßnahmen (z. B. für Journalisten) sind erforderlich, um zum komplexen Thema Nachhaltigkeit zu einer Versachlichung der Thematik in der breiten Bevölkerung beizutragen. Medienkritische Schulungen zu Bewertungskompetenzen spielen aufgrund sich stark wandelnder Mediennutzungsgewohnheiten bei Schülern eine große Rolle.

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