23.08.2018 | Als Tiefsee-Forscherin gezeigt: Handeln des Menschen wirkt „bis in unzugänglichsten Winkel der Erde“

Deutscher Umweltpreis 2018: Einzelwürdigung Meeresbiologin Prof. Dr. Antje Boetius

Prof. Dr. Antje Boetius, Trägerin des Deutschen Umweltpreises 2018 der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. © Kerstin Rolfes/Alfred-Wegener-Institut
Prof. Dr. Antje Boetius, Trägerin des Deutschen Umweltpreises 2018 der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU).
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Prof. Boetius: Expedition mit dem Forschungsschiff Merian ins Schwarze Meer im Frühjahr 2010 © JAGO Team/Geomar
Expedition mit dem Forschungsschiff Merian ins Schwarze Meer im Frühjahr 2010 unter Leitung von Prof. Dr. Antje Boetius.
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Bremerhaven. „Ihre wissenschaftlichen Leistungen in der Tiefsee- und Polarforschung sind ganz entscheidend für das Verständnis des weltweiten Klimageschehens und der Lebensvielfalt. Auf Basis ihrer Forschungsergebnisse macht sie deutlich, dass sich menschliches Handeln wie Treibhausgasausstoß, Überfischung, Wasserverschmutzung bis in die unzugänglichsten Winkel der Erde auswirkt. Gleichzeitig hat sie ein außerordentliches Talent, die gesellschaftliche Bedeutung ihrer Forschungsergebnisse einer breiten Öffentlichkeit verständlich darzustellen.“ – Mit diesen Worten würdigte heute Alexander Bonde, Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), die Verleihung des Deutschen Umweltpreises 2018 an die Meeresbiologin Prof. Dr. Antje Boetius (51), Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird die Auszeichnung am 28. Oktober in Erfurt überreichen. Boetius erhält ein Preisgeld von 250.000 Euro.

Mikroben der Tiefsee schützen durch Methanabbau vor Klimaerwärmung

Bonde: „Frau Boetius‘ meistzitierte wissenschaftliche Veröffentlichungen befassen sich mit der marinen Mikrobiologie, speziell mit der sogenannten anaeroben Methanoxidation.“ Dabei gehe es um das Erforschen der Mikroorganismen, die unter Ausschluss von Sauerstoff für den Abbau von Erdgas (Methan) verantwortlich sind, das im Ozeangrund in großen Mengen vorkommt. Ihre Forschungsergebnisse seien in Zusammenhang mit der globalen Klimaerwärmung „von zentraler Bedeutung, da Methan als Treibhausgas 25-mal stärker wirkt als Kohlendioxid. Die Mikroben sorgen dafür, dass nur wenig aus den Ozeanen in die Atmosphäre entweicht und verhindern somit ein schnelleres Aufheizen des Planeten“, so Bonde. Sie würden schon seit einigen Milliarden Jahren helfen, das Erdklima zu stabilisieren. Der Mensch habe jedoch in den letzten Jahrzehnten einen so schnellen und hohen Kohlendioxid- und Methan-Anstieg in der Atmosphäre verursacht, dass die natürlichen Puffer die zunehmende Erderwärmung nicht verhindern könnten. Führende Wissenschaftler seien sich deshalb einig, dass die globale Durchschnittstemperatur in diesem Jahrhundert aufgrund des vom Menschen verursachten Kohlendioxid- und Methan-Ausstoßes um zwei bis vier Grad steigen werde, wenn nicht schnell Maßnahmen ergriffen werden, dagegen zu steuern. Bonde: „Prognostizierte Folgen: Rückgang des Meereises an den Polkappen, Anstieg des Meeresspiegels, Dürre, Häufung der Extremwetterereignisse.“

Zwei-Grad-Ziel in der Arktis längst überschritten

Um diese Folgen zu verhindern, vereinbarten 2015 rund 200 Staaten bei der Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Paris, die menschengemachte Erderwärmung deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Werten zu halten. Nach dem von führenden internationalen Wissenschaftlern ausgearbeiteten Konzept der „Planetaren Leitplanken“ seien die Folgen bei einer Erwärmung jenseits dieses sogenannten Kipppunktes nicht mehr vorhersehbar. „Bezogen auf die Arktis haben wir das Zwei-Grad-Ziel schon längst überschritten“, sagt Boetius. Die Lufttemperatur sei hier mehr als doppelt so schnell gestiegen wie im globalen Durchschnitt. Am deutlichsten zeigten sich die Folgen dieser Erwärmung an der stetig schwindenden Meereisdecke. „2012 leitete ich eine Expedition mit dem Forschungsschiff Polarstern in der Arktis, als das Meereis schneller als jemals zuvor schmolz. Wir waren so direkt Zeugen des beschleunigten Klimawandels und seiner Folgen“, so Boetius. „Wir beobachten nicht nur, wie das Meereis schwindet, sondern auch, wie die Gletscherschmelze zunimmt und der Permafrost taut. Da kann man durchaus das unwissenschaftliche Wort ‚dramatisch‘ verwenden.“ Wissenschaftler gingen davon aus, dass in weniger als 40 Jahren der Nordpol im Sommer eisfrei sein könnte. Mit dem Meereis würden aber auch unzählige Lebensräume und mit ihnen eine Vielzahl von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen verschwinden, die dann keine Ausweichmöglichkeiten hätten.

Prof. Dr. Antje Boetius: Vorbereitung am Alfred Wegener Institut in Bremen auf die Expedition mit dem Forschungsschiff Polarstern © Alfred-Wegener-Institut/Achim Multhaupt/laif
Vorbereitung in einer Halle am Alfred Wegener Institut in Bremen auf die Expedition mit dem Forschungsschiff Polarstern: Tiefseeforscherin Prof. Dr. Antje Boetius.
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Prof. Dr. Antje Boetius, Expedition Polarstern © Martin Schiller/Alfred-Wegener-Institut
Prof. Dr. Antje Boetius auf dem arktischen Meereis während einer Expedition mit dem Forschungsschiff Polarstern.
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Keine unberührte Natur mehr

Aufgrund der hohen Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre löse sich zudem immer mehr des Gases im Oberflächenwasser der Ozeane. Diese Versauerung und der Lebensraumverlust wirkten sich unmittelbar auch auf das Leben in der Tiefsee aus. Boetius: „Klimawandel verändert auch die Algen und die Mikroorganismen an der Meeresoberfläche. Die sinken durch Schwerkraft herab und sind die Nahrung der Tiefseetiere. Daher haben die Änderungen, die sich oben abspielen, direkt auch eine Wirkung bis in die tiefsten Tiefseegräben.“ Aufgrund des menschengemachten Anteils der Klimaerwärmung gebe es demnach keine unberührte Natur mehr auf dem Planeten. Das zeigten auch der fast allgegenwärtige Plastikmüll und andere Spuren des Menschen. So konnten die Forscher des AWI Mikroplastik im arktischen Meereis nachweisen wie auch zunehmende Mengen an Müll in der Tiefsee. „Das Beunruhigende: Bislang gibt es keine Erkenntnisse, inwieweit Mikroplastik Meeresorganismen schadet oder gar den Menschen gefährlich werden kann. Die Ozeane und Polarsysteme sind eine Art Warnsignal für den Zustand der Erde geworden“, so die AWI-Direktorin.

Ozeane bereits durch Überfischung und Jagd auf Wale beeinflusst

Frau Boetius habe neben ihren wissenschaftlichen Arbeiten zur Tiefsee-Mikrobiologie eine außerordentliche Begabung, fachübergreifend und systemisch zu denken, so Bonde. An den von ihr koordinierten Expeditionen seien viele Experten unterschiedlicher Fachrichtungen beteiligt, die gemeinsam den globalen Ozean betreffende Hypothesen entwickeln, mit wissenschaftlichen Ergebnissen unterfüttern, direkt darüber kommunizieren und die Ergebnisse und Daten schnell veröffentlichen – eine zentrale herausragende Leistung. Dabei liege es Boetius am Herzen, den Zusammenhang zwischen menschlichem Handeln und Zustand des Ozeans sowie Lösungen für eine gute Umwelt zu diskutieren. So ist nach Boetius‘ Einschätzung der hohe Fischereidruck auf die Meere schon lange ein Problem. Sie weist darauf hin, dass manche unserer Eingriffe kaum rückgängig gemacht werden können - wie der Zusammenbruch der Walbestände durch die weltweite Jagd im 19. Jahrhundert. Auch laut Umweltbundesamt gelte die Überfischung als der gravierendste Eingriff in die Meeresökosysteme. Die Ozeane seien eine der weltweit wichtigsten Nahrungsquellen. Ohne ein verbessertes und nachhaltiges Fischereimanagement mit verringerten Fangquoten drohten sie zunehmend beeinträchtigt zu werden.

Prof. Dr. Antje Boetius im Labor © Jan Riephoff
Prof. Dr. Antje Boetius: Klimawandel und Fischerei haben die Ozeane schon weltweit verändert.
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Meeressäuger global wichtig für natürliche Nahrungsnetze

„Raubbau an den Meeren hatte ich schon als Kind im Kopf“, erzählt die Meeresbiologin. „Mein Großvater war Walfänger. Er erklärte mir, dass wir Menschen verantwortlich dafür sind.“ So seien die Bestände der Wale bis in die 30er Jahre extrem dezimiert worden und hätten sich bis heute nicht erholt. „Pottwal, Finnwal, Blauwal und andere Meeressäuger durchschwimmen die Ozeane und sind global wichtig für natürliche Nahrungsnetze“, so Boetius. „Die heutigen Bestände im Vergleich zum 19. Jahrhundert sind enorm geschrumpft.“ Die Ökosystem-Wissenschaftlerin gibt zu bedenken, dass dadurch auch das übrige Ökosystem bis hin zu den Tiefsee-Mikroben beeinflusst werde. „Und den natürlichen Zustand der Meere, als Wale und große Fische in viel höherer Zahl noch flächendeckend zum Ökosystem Ozean gehörten, haben wir nicht erforscht. Das können wir uns gar nicht mehr vorstellen und leider auch nicht mehr wissenschaftlich nachvollziehen“, so die Tiefseeforscherin.

Vor Rohstoffabbau in der Tiefsee Metallrecycling ausschöpfen

Doch die Tiefsee biete nicht nur Lebensraum für noch weitgehend unerforschte Ökosysteme, sondern auch für Bodenschätze wie Nickel, Kobalt und andere seltene Metalle, deren Vorkommen an Land begrenzt sind. Hightech-Produkte wie Mobiltelefone würden viel mehr solcher Rohstoffe brauchen und das Interesse an der Nutzung der Tiefsee wecken. „Die genauen Auswirkungen des Tiefseebergbaus sind noch weitgehend unbekannt und müssen erst erforscht werden. Durch Boetius haben die betroffenen Ökosysteme eine starke Fürsprecherin“, so Bonde. Boetius: „Persönlich würde ich sagen, wir brauchen den Tiefseebergbau noch lange nicht, weil wir die Möglichkeiten zum Metallrecycling, zur Wiederverwertung, zum Schließen des Wertkreislaufs der Metalle überhaupt noch nicht ausgeschöpft haben.“ Ihrer Wahrnehmung nach komme dieser „merkwürdige Hype um die Tiefseeressource daher, dass viele Menschen immer noch denken, da unten gibt es kein Leben, da unten ist eine Wüste, da leben ja auch keine Menschen.“ Wenn sie dann etwa auf Einladung der Vereinten Nationen (United Nations, UN) als Wissenschaftskommunikatorin mit Vertretern der Ozeanindustrie am Verhandlungstisch sitze, sei es ihr Ziel, so Boetius, „deutlich zu machen, dass die noch kaum erforschte Welt der Tiefsee als Teil des Planeten und unserer Zukunft verstanden wird, für den ebenfalls die UN-Nachhaltigkeitsziele gelten. Wichtige Erkenntnisse aus der Erforschung der Tiefseearten und ihrer Vielfalt und besonderen Anpassung könnten bei einem nicht nachhaltigen Abbau künftigen Generationen für immer verloren gehen.“