DBU aktuell Nr. 1 | 2016

Informationen aus der Fördertätigkeit der Deutschen Bundesstiftung Umwelt

Sehen Sie selbst... © Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Dr. Thomas Jahn ist Sprecher der Institutsleitung des Institutes für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt.

2.) Gelingt es der Menschheit, sich an sich selbst anzupassen?

DBU aktuell: Wie stellt sich die »Epoche der Menschheit« aus sozial-ökologischer Sicht dar?
Dr. Thomas Jahn: Wir unterscheiden drei Stränge: Zunächst gibt es den in den Geowissenschaften geführten Diskurs. Die dort formulierte Hypothese besagt, dass die Menschheit spätestens seit Beginn der industriell geprägten wirtschaftlichen Entwicklung auf dem Planeten genauso tiefe und sichtbare Spuren hinterlässt, wie es sonst nur so folgenreiche Ereignisse wie Eiszeiten oder Meteoriteneinschläge konnten. Im zweiten Strang des Anthropozän-Diskurses wird eine krisendiagnostische Perspektive eingenommen. Im Vergleich zum geowissenschaftlichen Diskurs geschieht hier etwas ganz Wesentliches: Es wird nicht nur festgestellt, dass menschliche Aktivitäten epochale planetare Veränderungen bewirken, sondern diese Veränderungen werden als Gefährdung für das Überleben der Menschheit bewertet. Mit diesem Bild der Selbstgefährdung werden dann aber auch neue Fragen nach Verantwortung und Zukunfts­gestaltung gestellt. Drittens begegnet uns das Anthropozän immer häufiger auch als kulturelle Idee, als eine neue gesellschaftliche Selbstdeutung. Insgesamt lässt sich aus den verschiedenen Facetten des Anthropozändiskurses ein Dilemma zwischen Katastrophenangst und Kontrollfantasien herauslesen, das sich – etwas zugespitzt – in der Frage zusammenfassen lässt: Gelingt es der Menschheit, sich an sich selbst anzupassen?

Was bedeutet das für die Wissenschaft im Anthropozän?
Wiederum drei Punkte: Zunächst muss Wissenschaft einen konsequent integrativen Ansatz verfolgen. Es kommt darauf an, dass sich ein solcher Ansatz stärker darauf konzentriert, die Folgen der Beschreibung der Menschheit als geologische Kraft zu erfassen und geeignete Formen des Umgangs mit diesen Folgen zu entwickeln. Dass dabei Natur-, Technik-, Sozial- und Geisteswissenschaften auf das engste inter- und transdisziplinär zusammenarbeiten müssen, liegt auf der Hand.

Punkt zwei ...
Wissenschaft muss sich als beteiligter Beobachter verstehen. Dies hat grundlegende epistemologische und methodische Konsequenzen: So müssen beispielsweise sozial-ökologische Systeme so beschrieben und analysiert werden, dass erkennbar wird, welchen Einfluss der wissenschaftliche Fortschritt selbst auf die Dynamik dieser Systeme hat.

Und schließlich . . .
Es reicht nicht, wenn die Wissenschaft nur nach den Planetary Boundaries fragt. Sie muss vielmehr auch die Human Boundaries vermessen, also die gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Grenzen von Gestaltungsmacht und -ohnmacht.

Was ist aus Ihrer Sicht neu an diesem Konzept?
Die Idee des Anthropozäns enthält tatsächlich etwas Neues. Dieses Neue besteht darin, etwas durchaus Bekanntes aus dem Diskurs um nachhaltige Entwicklung produktiv zuzuspitzen: Die Notwendigkeit nämlich, sich in der Analyse der Gegenwart und der Gestaltung der Zukunft auf Veränderungen in den Beziehungen zwischen Mensch, Gesellschaft und Natur sowie auf die Folgen, insbesondere die nicht beabsichtigten Folgen unseres Handelns für diese Beziehungen zu konzentrieren.