DBU aktuell Nr. 1 | 2021

Informationen aus der Fördertätigkeit der Deutschen Bundesstiftung Umwelt

Elke Radtke, Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie © Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie
Elke Radtke, Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie
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2.) „Gussteile findet man überall“ – Elke Radtke vom Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie im Interview

Mit der Entwicklung von Schmelzöfen um 3 000 v. Chr. – zuerst in China und Indien – wurde es möglich, Metalle zu gießen. Gießereiprodukte begleiten die Menschheit also schon seit vielen Jahrtausenden. Wie präsentiert sich das alte Handwerk im 21. Jahrhundert, welche neuen Ansätze bietet die Digitalisierung und welche Rolle spielen Umweltentlastungen und Kreislaufführung? DBUaktuell sprach dazu mit der DBU-Projektpartnerin Elke Radtke, Referentin für Umwelt- und Arbeitsschutz beim Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie (BDG).

DBUaktuell: Gießerei-Industrie klingt im ersten Moment nach einem „Spezialthema“ für Techniker, Metallfacharbeiter und Ingenieure. Wo begegnen uns Gießereitechnik und ihre Produkte in unserem Alltag?

Elke Radtke: Wir haben dafür im Verband eine recht griffige Formulierung: Guss macht zwar nur ein Prozent der Industrieproduktion aus, aber ohne uns werden die anderen 99 Prozent der Produktion nicht fertig. Anders gesagt: Gussteile findet man überall, sogar in vielen Alltagsgegenständen, etwa Handrasierern und Kaffeemaschinen. Aber beginnen wir mit dem Naheliegenden – gegossen werden Komponenten für alle Arten von Maschinen, Transportgeräten, Industrieanlagen. An Fahrzeugen sind beispielsweise überall Gussteile verbaut. Schwerpunktmäßig im Antriebsstrang, aber auch im Fahrwerk und der Karosseriestruktur. Das gilt für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor ebenso wie für Hybrid- oder rein elektrische Fahrzeuge. Auch die großflächigen Wannen für die Aufnahme der Batterien in E-Mobilen werden gegossen. Diese Komponenten müssen gleichermaßen steif wie auch leicht sein – das Verfahren Guss eignet sich hervorragend dafür.

Außerdem findet Guss auch dort Verwendung, wo man es zunächst kaum vermuten würde, etwa in der Medizintechnik. Ein Beispiel sind künstliche Hüftgelenke, die heutzutage im Feinguss-Verfahren etwa aus Titan gegossen werden. Dann trägt die Gießereibranche auch maßgeblich zur Energiewende bei – so sind die Naben der Windenergie-Anlagen und die Pumpengehäuse von Wasserkraftwerken üblicherweise gegossen.

Kennen Sie übrigens das am häufigsten vorkommende Gussteil der Welt? Das sind sogenannte Möbelverbinder bzw. Exzenter – diese runden Metallteile, die zum Beispiel in jedem IKEA-Schrank montiert werden.

DBUaktuell: Gießerei verbindet man mit Metall, Schmelze, Öfen und Hitze – welche Rolle spielt die Digitalisierung und speziell Künstliche Intelligenz bei Gießereiprozessen?

Radtke: Die Gießerei-Industrie und ihre Zulieferer setzen sich bereits seit langem intensiv mit den Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung auseinander. Deren Umsetzung und die damit einhergehende weitere Automatisierung der Fertigung haben das Potenzial, Prozesse und Produkte weiter zu optimieren, das heißt, stabiler, effizienter, kostengünstiger oder transparenter zu machen, um eine höhere Ausbringung zu erzielen, Ausschuss sowie Stillstände zu vermeiden, sowie noch komplexere Leichtbaulösungen zu entwickeln.

Im heterogenen Umfeld der Gießereien wurden zunächst Insellösungen erarbeitet. Konsequent wird nun der weitere digitale Ausbau beschritten, von der Datenerfassung und Datenverarbeitung in der Produktion, über die Maschine-zu-Maschine-Kommunikation (M2M), die Prozessautomatisierung durch Robotereinsatz, sowie flexible Produktion und flexible Produktionsmittel. Letztlich ist es das Ziel, weg von empirischer Prozesssteuerung hin zu daten- und faktenbasierter Prozesssteuerung zu kommen, jeglichen Verschleiß an Anlagen sowie Trends zu erkennen, sodass Maßnahmen frühzeitig eingeleitet werden oder eine Selbst-Optimierung in der datenintegrierten Fertigung stattfindet.

In der Produkt- und Prozessentwicklung sind verschiedenste CAx-Technologien und Simulationentools (Formfüll-, Erstarrungs-, Spannungssimulationen) Stand der Technik. In jüngster Vergangenheit hat die Topologie-Optimierung zunehmend Einzug gefunden, da unter anderem neue digitale Formherstellungsverfahren, wie die indirekte Additive Fertigung von Modellen, Sandformen und -Kernen den Gießereien neue Freiheitsgrade in der Gestaltung ihrer Gussteile ermöglicht und dem Kunden somit noch komplexere Leichtbaulösungen angeboten werden können. 

DBUaktuell: Gießerei und Umweltwirkungen – wie geht man mit dem Thema Umweltschutz um? Welche Herausforderungen oder Chancen bedeutet beispielsweise eine Circular Economy und wo und wie kann eine Umweltstiftung wie die DBU Umweltentlastungen unterstützen?

Radtke: Die Fertigung von Gussprodukten ist schon seit Jahrhunderten durch Stoffkreisläufe mit einer hohen Recyclingrate gekennzeichnet. Dies betrifft sowohl den Schmelz-Gieß-Kreis als auch den Formstoffkreis. In der Regel besteht der sogenannte metallische Einsatz zu einem Drittel aus internem Kreislaufmaterial, zu mehr als der Hälfte aus Recyclingmaterial, nämlich Schrotten und Gussbruch, und nur zu gut einem Zehntel aus frischem Roheisen und Ferrolegierungen.

Auch das üblicherweise im Eisen- und Stahlguss verwendete Formmaterial Sand wird heute zu gut 95 Prozent im Kreislauf gefahren – nur der mechanisch und thermisch verschlissene Anteil wird kontinuierlich ausgeschleust und verwertet oder entsorgt. Dabei ist es seit jeher unser Anspruch, diese Altsande möglichst hochwertig zu verwerten – zum Beispiel als Zuschlagsstoff in der Zement- und Ziegelindustrie oder aber bei der Herstellung von Ersatzbaustoffen. Denn die Sande verfügen durchaus über hervorragende bauphysikalische Eigenschaften.

Und: Sand ist ein äußerst begehrter Rohstoff. Nicht nur unsere Branche braucht ihn, sondern in erster Linie die Bauwirtschaft, aber auch die Glas- und Keramikindustrie, um nur einige Beispiele zu nennen. Es ist ein glücklicher geologischer Zufall, dass Deutschland über umfangreiche Lagerstätten für Quarzsand verfügt. Dies sollte uns jedoch nicht dazu verführen, „großzügig“ mit diesem Schatz der Natur umzugehen.

Deshalb suchen wir ständig nach neuen, innovativen Möglichkeiten, unseren Altsanden ein zweites Leben einzuhauchen. Gefördert durch die DBU verfolgen wir gerade ein extrem spannendes Projekt, an dessen Ende eine völlig neue Nutzung der Gießereialtsande als sekundärer Rohstoff für die Produkte einer anderen Branche steht. Sie sehen, der Gedanke der Circular Economy ist in gewisser Weise ein „alter Hut“ für unsere Industrie.

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