DBU aktuell Nr. 10 | 2015

Informationen aus der Fördertätigkeit der Deutschen Bundesstiftung Umwelt

Sehen Sie selbst... © Dannhauer
Die Gesprächsrunde mit (v. l.): Prof. Dr. Stephan Rammler, Dr. Rüdiger Grube, Hildegard Müller und Moderator Klemens Kindermann
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3.) Digitalisierung ist nicht mehr aufzuhalten

»Digitalisierung – Global! Nachhaltig?« lautete der Titel des diesjährigen Symposiums zu dem die DBU und der Rat der Umweltpreisträger in Kooperation mit dem Deutschlandfunk (DLF) am Vortag der Umweltpreisverleihung in Essen eingeladen hatten. Rund 300 Gäste folgten den Vorträgen und Diskussionen, die aus unterschiedlichen Perspektiven die Frage behandelten, inwieweit der globale Trend zur Digitalisierung bereits nachhaltig ist beziehungsweise wie er künftig nachhaltiger gestaltet werden kann.

Nach einer kurzen Einführung durch Prof. Dr. Garabed Antranikian, Umweltpreisträger des Jahres 2004, stellte Hildegard Müller, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. (BDEW), die »Digitalisierung in der Energiewirtschaft« vor. Ihre Branche habe es derzeit mit zwei Transformationen zu tun: der Energiewende und der Digitalisierung, sagte Müller. Deshalb sei es momentan für viele Unternehmen nicht leicht, dies alles gleichzeitig zu bewältigen. Andererseits lasse sich die zunehmende Komplexität der neuen dezentralen Energiewelt von heute und morgen nur mithilfe der Digitalisierung steuern. Millionenfach anfallende Wetter- und Verbrauchsdaten seien für die Energiewirtschaft elementar, um das System der erneuerbaren Energien stabil halten zu können. Derzeit erzeugten in Deutschland rund 1,5 Mio. Anlagen erneuerbaren Strom. Zugleich gingen ältere Kraftwerk und Atommeiler vom Netz. Damit wachse im Vergleich zu früher nicht nur die Zahl der Anlagen um das 11 000-Fache – Tendenz steigend, sondern auch die Komplexität des Gesamtsystems. Um diese Anteile ständig fluktuierender Energien, die extrem breite und kurze Schwankungszeiten haben können, managen zu können, bedürfe es ebenfalls der Digitalisierung. Eine neue Herausforderung, der ebenso nur durch weitere Digitalisierung begegnet werden könne, sei die Tatsache, dass der Verbraucher sowohl Strom einspeise, als auch Strom beziehe und so vom Consumer zum Prosumer werde. Diese Vielfalt mache in den nächsten zehn Jahren allein in den Verteilnetzen Investitionen in Höhe von 25 Mrd. Euro nötig, sagte Müller. Abschließend formuliert die BDEW-Chefin: »Digitalisierung, Netzausbau, Flexibilität und Netzkoppelung
der verschiedenen Energiebereiche sind Teilbereiche einer Energiewelt von morgen. Für die Energie­wirtschaft ist Digitalisierung ein Lebensnerv.«

Dr. Rüdiger Grube, Vorstandsvorsitzender und Chief Sustainability Officer der Deutschen Bahn AG, wies in seinem Vortrag darauf hin, dass sich die Bahn als Mobilitäts- und Logistikunternehmen tagein, tagaus mit Digitalisierung beschäftige. Unter Mobilität verstehe die Bahn, die intelligente Verknüpfung der Verkehrsmittel. Und diese gelinge nur, wenn man Herr der Digitalisierung sei oder werden möchte, so Grube. Bereits 2012 habe sich die Bahn einer Nachhaltigkeitsstrategie verschrieben, die den Einklang von Ökologie, Ökonomie und Sozialem beinhalte. Dafür habe man sich drei Kernziele vorgegeben. Grube wörtlich: »Wir wollen Umweltvorreiter Nr. 1 sein. Wir wollen einer der Top-Arbeitgeber in Deutschland werden und wir wollen – drittens – ein nachhaltig wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen sein«. Diese Strategie der Bahn sei ohne Digitalisierung nicht umzusetzen. Grube zusammenfassend: »Wer dieses Thema nicht ernst nimmt, wird an der Zukunft nicht teilnehmen. Er ist nicht mehr Treiber, sondern Getriebener.«

Die Welle reiten
In der nachfolgend von Klemens Kindermann (stellvertre-tender Chefredakteur im Deutschlandfunk) moderierten
Diskussion waren sich die Gesprächsteilnehmer darüber einig, dass die Digitalisierung nicht mehr aufzuhalten sei. Prof. Dr. Stephan Rammler, Leiter des Instituts für Transportation Design der HBK Braunschweig, formulierte diesen Sachverhalt so: »Wir stehen nicht vor der Wahl, wollen wir sie oder nicht, wir stehen schlicht vor der Herausforderung, diese Welle zu reiten.«

Bahnchef Grube machte deutlich, dass viele praktische Verbesserungen bei der Bahn wie höhere Pünktlichkeit oder richtige Wagenreihung nur mithilfe der Digitalisierung zu lösen seien. Auch Rammler betonte die großen Chancen der Digitalisierung für eine Verbesserung der Nutzungseffizienz beispielsweise im automobilen Straßenverkehr. Für die Integration der Verkehrssysteme, brauche man die digitale Technologie genau wie im Energiebereich.

Weitgehender Konsens herrschte bei den Diskussionsteilnehmern auch in dem Punkt, dass die Digitalisierung in der Geschäftswelt zu großen Umstrukturierungen führen wird. BDEW-Geschäftsführerin Müller sprach hier von einer durchgreifenden Veränderung der Geschäftsmodelle und -prozesse, die nicht in jedem Einzelfall nur Gewinner hervorbringen werde. Wegfallende Berufsbilder müssten hier rechtzeitig durch entsprechende Umschulungen und/oder Qualifizierungsangebote im Bildungsbereich flankiert werden. Rammler spitzte diese Thematik zu, indem er auf eine Studie hinwies, die belege, dass in den nächsten Jahren in den USA 47 % aller Beschäftigungsverhältnisse durch Automatisierung und Robotisierung verloren gehen würden. Dies werde in Deutschland nicht so ausgeprägt ausfallen, ergänzte er, weil hierzulande in der Industrie bereits ein hohes Automatisierungsniveau vorherrsche. Trotzdem dürfe man die Augen vor diesem Trend nicht verschließen. Rammler forderte die Politik in diesem Zusammenhang auf, sich in Zeiten der Digitalisierung stärker mit der Frage der Beschäftigungs- und Arbeitsmarkttransformation zu beschäftigen.

Cyber-Attacken ernstes Problem
Weitere Risiken der Digitalisierung sahen die Gesprächsteilnehmer ferner in den Bereichen Datenschutz und -sicherheit. Rammler räumte hier ein, dass der Preis für die Digitalisierung möglicherweise ein wachsendes Maß an »Gläsernheit« und Transparenz für den Bürger bedeute.

Müller mahnte in Sachen Datenschutz ein breite gesellschaftliche Debatte an, die letztlich darüber entscheide, »was wir wollen und was nicht.«

Neben dem Datenschutz wurde auch die Gefährdung durch Cyber-Attacken von den Diskussionsteilnehmern als ernst­zunehmendes Problem wachsender Digitalisierung benannt.
Für Müller und Grube genießen diese Themen in ihren Geschäftsfeldern daher höchste Priorität. Müller wörtlich: »Eine funktionierende Energie- und Wasserversorgung ist der Blutkreislauf unserer modernen Gesellschaft.« Deshalb versuche die Energiewirtschaft auch, sich bestmöglich gegen »Hacker«-Angriffe zu schützen.

Im Hinblick auf die Frage, inwieweit die Digitalisierung nachhaltig sei, führte Müller dazu aus, dass sie per se nicht nachhaltig sein könne, sondern lediglich ein Instrument darstelle, um Nachhaltigkeit zu erreichen. Rammler schloss sich dieser Einschätzung an, forderte allerdings: »Wir müssen auch die Rahmenbedingungen der Digitalisierung im Blick behalten.« Die Inhaltsstoffe der digitalen Endgeräte wie
seltene Erden müssten viel stärker noch, als es gegenwärtig der Fall ist, über einen Kreislaufprozess rückgewonnen werden. Rammler verwies abschließend auch darauf, dass Nachhaltigkeit allein mit Technik nicht zu erreichen sei. Dazu gehörten ebenso Lebensstil- und Suffizienzfragen sowie eine Debatte über die Grenzen des Wachstums.