Newsletter des Stipendienprogrammes vom 29.09.2017

Infos aus dem Stipendienprogramm - Nr. 68 - Ausgabe III 2017

Nobelpreisträgertagung Lindau
Nobelpreisträgertagung Lindau
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9.) 67. Nobelpreisträgertagung Lindau 2017

Alle paar Jahre treffen sich Chemie-Nobelpreisträgerinnen und -Nobelpreisträger sowie Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler für eine Woche in Lindau am Bodensee, um sich auszutauschen und zukünftige wissenschaftliche Errungenschaften durch Impulse der Errungenschaftenerringerinnen und -erringer der älteren Generation zu fördern.

Im Juni dieses Jahres war ich wie 27 Nobelpreisträger, eine Nobelpreisträgerin und 420 junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Studierende, Doktorandinnen und Doktoranden sowie Postdoktorandinnen und -doktoranden unter 35) ein Teil davon. Das Programm setzte sich zusammen aus jeweils halbstündigen Vorträgen der Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträgern am Vormittag und parallel stattfindenden Fragerunden zu wissenschaftlichen Inhalten und persönlicheren Aspekten mit diesen Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträger am Nachmittag. Am Abend gab es mehrere Dinnerveranstaltungen und den etwas lockerer konzipierten Bayerischen Abend zum Abschluss der Woche. Ergänzt wurde das Angebot durch Frühsport und sogenannte „Science Breakfasts“ um 7.00 Uhr, die von Firmen gesponsert und gestaltet wurden, Podiumsdiskussionen und einem Tagesausflug auf die Blumeninsel Mainau. Die Nachwuchsgeneration durfte 30 Poster zeigen und ein paar Vorträge im Rahmen von „Master Classes“ halten zu Themen, die drei Nobelpreisträger ausgeschrieben hatten.

In Lindau standen also große Entdeckungen und Erkenntnisse vergangener Jahrzehnte im Mittelpunkt und es bot sich die Möglichkeit zu erfahren, wie einige Inhalte des Biochemiebuches ehemals den Weg in Zeitschriftenartikel gefunden hatten. Es erinnert daran, dass Wissen, das man als selbstverständlich betrachtet, auch erarbeitet werden musste und keineswegs seine Bedeutung so offensichtlich erschien, wie sie ist oder sein mag. Es motiviert, wenn Rudolph Marcus die Marcus-Theorie des Elektronenübergangs erklärt und später in der Fragerunde erzählt, dass es von der Idee zur fertigen Theorie nur einen Monat brauchte (ohne Einbezug der Jahre, die es im Vorfeld der Idee brauchte, um die notwendigen Fertigkeiten und das Hintergrundwissen zu erwerben, sie umsetzen zu können). Er erwähnte im Übrigen auch, dass er gegen Ende seiner Postdoc-Phase etwa 60 Bewerbungen an amerikanische Hochschulen verschickte und keine 60 Absagen erhielt, weil nicht alle überhaupt antworteten.

Neben vielen positiven Eindrücken von Geschichten und Einschätzungen erfahrener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie munteren Diskursen mit erfahrungssammelnden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler blieb die Atmosphäre der Lindaubegegnung leider nicht nur wegen des begrenzten Raums für die 420 Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler, ihre Forschung vorzustellen, unter den Möglichkeiten der kommunizierten Idee der Sache. Die bayerische Inszenierung vom Elitedenken beklemmt (von der spießig-steifen Dinnertafel [mit mäßigem Essen], wo jede/jeder [wenn überhaupt] nur sagt, was hoffentlich als angemessen gilt, bis zum Photobooth-Selfie-mit-einem-Nobelpreisträger gesteigerten Science-Fame [statt tatsächlicher respektvoller Anerkennung der wissenschaftlichen Leistung?] und der repetitiven Bekundung [zum Schluss nochmal in Urkundenform], wie außergewöhnlich toll alle sind, die teilnehmen dürfen, belustigt [im Dirndl vorgetragene Forschungsergebnisse aus dem Max-Weber-Programm des Elitenetzwerks Bayern] und nervt nach ein paar Tagen [ohrenbetäubend laute Blaskapellen beim Essen und die häufigen Erklärungsversuche für die internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass sie Berlin nicht auf der Karte finden können, weil es keine Deutschland-, sondern eine Bayernkarte ist], bis am Ende auf dem Schiff nach Mainau dann das Baden-Württemberg-Messe- und Imagefilmfestival beginnt.

Ich begrüße es jedenfalls, dass man in Deutschland an vielen Hochschulen ein sehr gutes Studium durchlaufen kann und auf keiner bestimmten Universität gewesen sein muss, um Professorin/Professor, Verfassungsrichterin/Verfassungsrichter oder Bundeskanzlerin/Bundeskanzler zu werden, und bin, ohne damit anders gestrickte, exzellente Forschungszentren rund um den Globus angreifen zu wollen, der Meinung, dass es im Sinne der Diversität der weltweiten Forschungslandschaft schützenswert ist, wie in Deutschland vielerorts wesenhaft, ohne Exzellenzetiketten im Durchschnitt gut zu sein und exzellente Attribute überall verteilen zu können. Ich möchte Veranstaltungen wie die Lindaubegegnung als Fördermöglichkeit für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interpretieren, aus denen eine Vertretungsverantwortung erwächst, Erfahrenes in die Breite zu kommunizieren und neue Knotenpunkte für das schon bestehende Netzwerk mitzunehmen, und nicht als Eliteklüngelbildungsgelegenheit. In diesem Sinne fasse ich gern die Fazithinweise der Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträger für erfolgreiches wissenschaftliches Wirken zusammen und lasse die Einzeleindrücke zur unbedingten Notwendigkeit der Efeu- und Oxbridgeörtlichkeiten aus. Videos von den meisten Vorträgen und Podiumsdiskussionen findet man hier.

Um einen Nobelpreis zu gewinnen, braucht es im Wesentlichen vier Dinge:

  • ein schönes (sehr schwieriges, begeisterndes, neuartigkeitbergendes) Problem
  • einen weiten Horizont und spezifische Stärken
  • Selbstvertrauen und Durchhaltevermögen
  • eine Versicherung, in Form eines dankbaren (anerkannten, zeitnah ergebnisliefernden) Forschungsthemas

Um ein schönes Problem und dessen Lösung zu finden, braucht es dann nur drei weitere:

  • Fragen statt Antworten
  • Austausch und Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
  • Chancen, die wahrgenommen und genutzt werden

Viele Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträger wiesen darauf hin, dass es am wichtigsten in der Forschung ist, ein Leitproblem zu haben, dass sehr schwierig oder scheinbar unmöglich anzugehen ist, das bzw. dessen Im- und Explikationen von großer Bedeutung sowie neuartig sind und das einen selbst im Inneren so richtig begeistert. Die Forschenden sollten über breites Wissen, Verständnis und Einblicke verfügen, aber in einem Bereich auch Expertin/Experte sein, um eben diesen aus sich selbst heraus und im Kontext so gut zu verstehen, dass sie sich auf ihre Stärken stützen können. Auf dem Weg mit dem Problem braucht man dann nicht zweifeln und darf nicht aufgeben, sollte parallel aber auch Forschung betreiben, die schneller und weniger umständlich Ergebnisse liefert, die dem Forschenden den Freiraum für das Leitproblem schaffen. Richard Schrock nennt es Versicherung, Bernard Feringa formuliert es als Laufen auf zwei Beinen.

Oft betont wurde auch, unerwartete Ergebnisse ernst zu nehmen, sich immer zu fragen, wie die Dinge funktionieren und zu sehen, was man Neues aus Fehlschlägen lernen kann. Als heißen Tipp für Leitprobleme hob Hartmut Michel hervor, dass alle wichtigen neuen Charakterisierungsmethoden (Röntgenbeugung, NMR-Spektroskopie, Elektronenmikroskopie, DNA- und Proteinsequenzierung, Massenspektrometrie, …) mit Nobelpreisen bedacht wurden. Bei der Problemfindung und -lösung (sowie dem Wissenserwerb) hilft es, von anderen zu lernen, mit ihnen zu diskutieren und zusammenzuarbeiten. Von entscheidender Bedeutung ist letztendlich auch ein bisschen Glück. „At the right time at the right place (Hartmut Michel): 5.2.1980 at 2 a.m. in Grenoble“ bezieht sich Klaus von Klitzing auf seinen Vorredner, als er eine Aufnahme von der Notizbuchseite aus jener Nacht zeigt, in der er den zuvor theoretisch postulierten Quanten-Hall-Effekt beobachtete und sich überlegte, wie er zur Normdefinition von Einheiten genutzt werden kann. Das ist natürlich auch zu interpretieren als Motivation, Chancen, die sich bieten, zu erkennen und zu ergreifen sowie für Raum zu arbeiten, indem sich Chancen auftun können.

Nach den vielen Punkten zum allgemeinen wissenschaftlichen Wirken gestaltet sich der letzte Abschnitt nun DBU-relevanter. Umweltthemen wurden in Lindau häufig angesprochen und wenig diskutiert. Mario Molina widmete seinen großen Beifall erntenden Vortrag der Aussage, dass der Klimawandel wirklich existiert (offenbar ist das leider noch erwähnenswert und nicht überall klar). In der Eröffnungsrede von Steven Chu (die von William Moerner vorgetragen wurde) hieß es, dass neue Technologien, wie z. B. Schwefelbatterien, die Energie- und damit verbundenen Klimaprobleme lösen werden. Eine der anschließenden Fragen des Moderators bezog sich auf die scheinbare Alleinstellung von Technologieentwicklungen gegenüber persönlicher und industrieller Verantwortung, CO2-Emissionen durch geringeren Energieverbrauch und nachhaltigeres Handeln zu reduzieren. Als Entgegnung erfolgte ein Appell an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, der Allgemeinheit Wissenschaft zu erklären, wobei mir nicht klar wurde, ob Prof. Moerner die Frage richtig aufgefasst hatte oder er das als Antwort auf Technologiemisstrauen oder als Antwort auf fehlendes Verantwortungsbewusstsein meinte. Bei der Podiumsdiskussion zu gegenwärtig und zukünftig bahnbrechenden Forschungsfeldern wurden einige energieversorgungsrelevante Technologiekonzepte genannt und Elektromobilität im üblichen Chemikerinnen-/Chemikersprech besprochen. Eine Ausnahme von den chemischen Fachzeitschriftenartikeleinleitungs-Standardaussagen und wirkliche Diskussion bot das Science-Breakfast der BASF zum Thema „Circular economy – how do we make it happen?“, bei der an großen runden Tischen in wechselnden Gruppen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, drei Nobelpreisträgern und BASF-Mitarbeiterinnen und –Mitarbeitern darüber gesprochen wurde, was Kreislaufwirtschaft bedeutet und was Chemikerinnen und Chemiker dazu beitragen können. Nach regem Austausch und Besprechung von Technologien mit kritischer Abwägung gab es eine inhaltlich überraschende Impulsansprache von Jean-Marie Lehn, die trotz einigem, wohl berechtigtem, Widerspruch aus der Gruppe der Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler doch mit mehr Zustimmung bedacht wurde, als ich für möglich gehalten hätte. Er erklärte, dass er es für falsch halte, sich schuldig fühlen zu sollen für Probleme, die man der nächsten Generation überlässt bzw. für diese verursacht, weil die eigene Generation auch viele technische Lösungen finden musste, die nächste das eben auch zu tun habe und er in diesem Zusammenhang in Thorium basierten Atomkraftwerken die beste Technologie für die Energieversorgung sehe. Ohne diese Meinung zu teilen, denke ich, unbequeme Diskussionen, bei denen sich wirklich mit Ideen auseinandergesetzt wird, sind wertvoller als jene, wo die eigenen und fremden Gedanken dem allgemein Gehörtem zu Gunsten vorm Ausgesetztsein geschützt werden.

In Lindau gab es also einige Impressionen von der Wissenschaftswelt und Süddeutschland zu sammeln und ich möchte alle Stipendiatinnen und Stipendiaten, denen sich die Gelegenheit bietet, eine Lindautagung zu besuchen, empfehlen, das auch zu tun und mich bei der DBU ganz herzlich für die Nominierung und die Kostenübernahme bedanken. Man möge mein eher kritisches Sammelsurium von Eindrücken im Mittelteil nicht überbewerten. Ich dachte, Bekundungen wie großartig und perfekt alles ist, wie sie die LiNo-Webseite zusammenträgt (und heraufbeschwört), erweitern ja niemandes Horizont mehr.

Julia Linnemann
Elektrochemikerin und aktuelle DBU-Stipendiatin